Hermann Peter Piwitt


Do. 25. Januar 2007
20.00 Uhr
Wirklichkeit und Wahn
Hermann Peter Piwitt (Hamburg)
stellt sein neues Buch vor

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Buchcover Piwitt »Jahre unter ihnen«

Piwitt? Gibt's denn den noch? War denn sein letztes Buch, der Kurzroman »Ein unversöhnlich sanftes Ende« (von dem es im Verlag des Zeitgenossen eine Hörbuchcassette mit einer wunderschönen Lesung des Autors gibt) nicht schon das allerletzte? Von wegen. Der schon lange totgeglaubte, "ausgeschriebene" Autor erlebt mit dem Roman »Jahre unter ihnen« wiederum eine Auferstehung als Dichter, der seinen Stil gefunden hat: "Piwitts Prosa beeindruckt durch ihre Ausdruckskraft. Hier redet sich einer die Empörung über eine Welt von der Seele, die jeden um den Verstand – oder um seine Sprache – bringen kann." (NDR Kultur, 13.11.2006)

Aus der Einführung von Mira Maase

Man muß lange suchen in der Literaturgeschichte, um ein Buch zu finden, das sich mit dem vergleichen läßt, von dem heute abend die Rede sein soll. Und das ist gut so. Denn jeder Vergleich von »Jahre unter ihnen« mit einem anderen Buch des 20. und des gerade begonnenen 21.Jahrhunderts würde unterschlagen, daß Hermann Peter Piwitt mit diesem Buch seine eigenen Maßstäbe gesetzt hat, an denen er fortan gemessen werden wird. Damit das mal klar ist.

Hermann Peter Piwitt - Lesung "Jahre unter ihnen" 1

Es ist sein persönlichstes Buch. Vieles war schon mal da, und wir erinnern uns: an Ponto und Carla in »Die Gärten im März«, an Mahler und Carla II in »Die Passionsfrucht«, an den Zeitreisenden und den "Süden des Herzens" in »Ein unversöhnlich sanftes Ende« - das taucht hier wieder auf, wird angedeutet, variiert und wie ein Musikstück aus dem Bachschen Jahrhundert komponiert. "Woher wir kommen und wohin es mit uns kommen kann" ist der Generalbaß dieser Sprache gewordenen Poesie von der Rückseite des Mondes.

Was als "Geschichte in Kartons" beginnt und vom verrückt gewordenen Bruder erzählt, der sich als Bürgersohn wie ein Preußenkönig geriert, mündet sehr bald und ganz konkret in der Feststellung, daß der Verrückte und der Normale nicht mehr zu unterscheiden sind. Das Territorium als eine geschlossene Anstalt in der seelenlos gewordenen Normalität, das war schon die große Vision in »Ein unversöhnlich sanftes Ende«: "Nur wer Geld hat, kommt noch überall hin, aber nicht mehr raus." Vielstimmig wird das Leitmotiv – sozusagen a cappella – variiert: "Ist man einmal verrückt, ist alles einfach. Aber wie schwer ist der Weg dahin."

Hermann Peter Piwitt - Lesung "Jahre unter ihnen" 2

Das erinnert nun doch an den Dichter Arthur Rimbaud (1854-1891), sein vielzitiertes Rätselwort "Ich ist ein anderer" und vor allem an sein "Une saison en enfer" von 1873. "Ein Aufenthalt in der Hölle" könnte als Untertitel auch der Schlüssel zu »Jahre unter ihnen« sein. Nur ist diese nun allgegenwärtig gewordene Hölle eines weltweit sich ausbreitenden kapitalistischen Gesellschaftssystems unsere Normalität geworden.

Piwitt ist also als Dichter ganz auf der Höhe unserer Zeit. Und der Subtext dieses Buches ist die Unfähigkeit zu trauern, die dem Erzähler den überall verdrängten Schmerz aufbürdet.

Hermann Peter Piwitt - Lesung "Jahre unter ihnen" 3

Damit auch das gesagt ist. Als Anfang einer Lesung, auf die wir uns lange genug haben freuen müssen.

Fotos: © Peter Worm

Do. 26. November 1998
20.00 Uhr
Hermann Peter Piwitt  liest
»Ein unversöhnlich sanftes Ende« (Roman)

Buchcover Piwitt »Ein unversöhnlich sanftes Ende« Über das geschlossene Wahnsystem des allgegenwärtigen "Territoriums". Wer Geld hat, kommt noch überall hin, aber nirgendwo mehr hinaus.

Hermann Peter Piwitt - Lesung "Ein unversöhnlich sanftes Ende" 1


Hermann Peter Piwitt - Lesung "Ein unversöhnlich sanftes Ende" 2
Fotos: © Julia Köbel

Buchkritik Der Literaturkritiker Stephan Reinhardt:
"Auch in »Ein unversöhnlich sanftes Ende« setzt der Dreiundsechzigjährige mit Sprachlust und Musikalität Akzente des Schönen, etwa wenn er sich wie immer intensiv auf Farben, Formen, Gerüche und Geräusche, Pflanzen und Vögel, Wind und Wetter einläßt. Noch immer hält er es dabei mit Schillers Ansicht, daß der Dichter zwar ein Sohn der Zeit ist, nicht aber ihr Günstling sein sollte."

Buchkritik Frankfurter Rundschau, 1.8.1998, von Hermann Wallmann

Buchkritik im Internet Literaturkritik.de Nr.1 Februar 1999 von Oliver Pfohlmann

»Ein unversöhnlich sanftes Ende« ist im Verlag des Zeitgenossen als Hörbuchcassette erschienen.

Do. 30. November 1995
20.00 Uhr
Hermann Peter Piwitt
liest aus seinem jüngsten Roman
»Die Passionsfrucht«
Lesung mit Diskussion

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Buchcover: Piwitt »Die Passionsfrucht«
Ein deutscher Kunstprofessor auf den Spuren von
Gabriele D'Annunzio.
Hermann Peter Piwitt - Lesung "Die Passionsfrucht" 1
Foto: © Andreas Wichary, München
Hermann Peter Piwitt - Lesung "Die Passionsfrucht" 2
Foto: © Hans-Peter Mundt

Passionsblume (Passiflora), meist rankende Stauden oder Halbsträucher des tropischen Amerika, bei uns als Zimmerpflanze, deren Nebenkrone der Blüte als Sinnbild der Dornenkrone Christi angesehen wird - Passiflora edulis liefert eßbare Früchte = Granadillen.
(Das Große Fischer Lexikon in Farbe, Bd. 14, S. 4589-4590)


Ein deutscher Kunstprofessor, den man sich vorstellen muß wie Klaus Budzinski, wenn er auf der Bühne des Hochhuth-Stücks »Wessis in Weimar« den Prof. Dr. Hillerbrechter spielt. Eine Nebenfigur im Leben, gewiß; und doch: "Fast alles gelingt ihm danach in den Grenzen dessen, was er sich vornimmt. Und daß das Schicksal nicht vorhat, mit ihm groß zu experimentieren, empfindet er, als es ihm klar wird, durchaus nicht als Vernachlässigung."

Der vierte Roman von Hermann Peter Piwitt nimmt die Leitmotive seiner früheren Romane auf und setzt sie in die Gegenwart um. In bester Thomas-Mann-Manier (amüsierte Gelassenheit) "erfindet" er vor unseren Augen seine Romanfigur - einen Maler namens Mahler.

Formal ähnelt der Roman den Irr- und Rätselgärten des italienischen Dichters, politischen Abenteurers und Frauenhelden Gabriele D'Annunzio (1863-1938), der sich 1900 in dem Roman »Feuer« in der Gestalt des venezianischen Dichterkomponisten Stelio Effrena als Nietzsche' scher Übermensch selbstporträtierte. Seine Anlagen am Gardasee haben den Duce-Faschismus überdauert. Dorthin zieht es den Maler Mahler alljährlich.

Einen Roman will er schreiben, der »Süden des Herzens« heißen soll. Der ehemalige Partisan Dario Rizzo erzählt ihm vom faschistischen Dichter d' Annunzio, der hier allgegenwärtig scheint; Erinnerung, Phantasie und eine eigentümliche Sehnsucht nach sich selbst vermischen sich in dem Abenteuer, daß in der Gestalt einer Carla Botticellis Prachtweib Flora aus dem Renaissance-Bild »Der Frühling« ins Leben tritt und ihn in eine Affäre verstrickt.

Der kontemplative Mahler, der ein paar Gewohnheiten von Ponto übernommen zu haben scheint, wird zuweilen zum einbeinig hinkenden Seeräuber Long John Silver, während Carla einen weichen Gang hat wie John Wayne. Anspielungen auf »Die Schatzinsel« von Stevenson und die Video-Clips im Fernsehen - und überhaupt die Anspielungen auf die audiovisuelle Welt des postmodernen Jahrzehnts - ergeben eine völlig plausible Durchdringung von Innen- und Außenwelt: Das Maler-Auge eines Poeten mischt sich mit dem Chas-Addams-Blick.

Ausgangspunkt: Die Wörter haben ihre Unschuld verloren. Wie soll man noch eine Geschichte erzählen, wenn schon die Dinge selbst angefangen haben, sich gegen ihre Bezeichnungen zu wehren?
H. W. S.



Hermann Peter Piwitt signiert seinen Roman "Die Passionsfrucht"
Nach der Lesung: Hermann Peter Piwitt signiert seinen Roman »Die Passionsfrucht«. Foto: © Peter Worm

siehe auch »Die Gärten im März«
Zum 60. Geburtstag von Hermann Peter Piwitt
"Von der Ästhetik des Romans"
Ein Vortrag mit Lesung von Hans Werner Saß

Biographie
Buchcover Biographie »Hermann Peter Piwitt«
»Hermann Peter Piwitt«, edited by David Basker. Cardiff, University of Wales Press, 2000.
Hermann Peter Piwitt wurde am 28. Januar 1935 in Wohldorf bei Hamburg geboren.
Piwitt wuchs in Frankfurt/M auf. Nach dem Studium der Germanistik und Philosophie in Frankfurt, München und Berlin. Starken Einfluß übten die akademischen Lehrer Theodor W. Adorno und Walter Höllerer auf ihn aus.
In den Jahren 1967 und 1968 arbeitete Piwitt als Lektor im Rowohlt-Verlag in Reinbek bei Hamburg.
1968 begann seine Mitarbeit an der Zeitschrift "konkret".
Seit 1969 freier Schriftsteller.

1968 Preis der jungen Generation in Berlin.
1971 Villa-Massimo-Stipendium.
1973 nahm Piwitt einen Lehrauftrag an der University of Warwick in England wahr.
1999 war Piwitt "Writer in residence" an der University of Wales in Swansea.

Piwitt ist Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Er lebt in Hamburg.

Werke u. a.:
Erzählungen und Romane:
»Herdenreiche Landschaften« (1965), »Rothschilds« (1972), »Die Gärten im März« (1979), »Deutschland. Versuch einer Heimkehr« (1981), »Der Granatapfel« (1986), »Die Passionsfrucht« (1993), »Ein unversöhnlich sanftes Ende« (1998), »Steinzeit. Notate zur Nacht 1989 bis 2002« (2003)
Essays:
»Das Bein des Bergmann Wu«, (1971), »Boccherini und andere Bürgerpflichten«, (1976)
Sammel- und Werkausgaben:
»Herdenreiche Landschaft und Aufspürung meiner Sorgen« (1985), »Die Umsegelung von Kap Hoorn durch das Vollschiff "Susanne" 1909 in 52 Tagen« (1985)
Herausgeberschaft:
»Anthologie jugoslawischer Erzähler« (1962), »Literaturmagazin 5« (mit Peter Rühmkorf) (1976), »Die siebente Reise. Utopische Erzählungen (mit R. Ritter)« (1978)
Übersetzungen:
Miodrag Bulatovic: »Der rote Hahn fliegt himmelwärts« (zusammen mit Miodrag Vukic) (1960), Miodrag Bulatovic: »Die Liebenden« (1962), Miodrag Bulatovic: »Der Schwarze« (1963)
Literatur:
David Basker (Hrsg.): »Hermann Peter Piwitt«, Cardiff (2000)

Hörbuch-Cassette Außerdem im Verlag des Zeitgenossen erschienen:
Hans Werner Saß liest
Hermann Peter Piwitt
»Die Gärten im März«

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