Fotos: © Peter Worm
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Aus der Einführung von Mira Maase:
Unser heutiges Thema behandelt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, die Frage des Glücks. Es gibt ja Autorinnen und Autoren, die die Ansicht vertreten, daß es eigentlich ein Unglück sei, geboren zu werden. Und andere, daß es ein Unglück sei, als Frau geboren zu sein. Dem würde eine Alice Rühle-Gerstel entschieden widersprechen. Sie war Teil einer Emanzipationsbewegung, die den Frauen erstmals 1919 das Wahlrecht erkämpfte und das Frauenbild entscheidend veränderte. Glück war für sie identisch damit, an einem gesellschaftlichen Prozeß mitwirken zu können, der auf Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung und Überwindung von Tabus hinauslief, welche diesen Emanzipationsprozeß behindern.
Die Aktualität von Alice Rühle-Gerstel besteht also für uns Heutige darin, daß ihr Denken und Handeln im ganzen deutschen Sprachraum nur noch Eingeweihten bekannt ist, weil diese Frau weder im Westen noch im Osten verwertbar war - im Westen nicht, weil sie die Lehren von Marx vertrat, im Osten nicht, weil sie die Lehren des Individualpsychologen Alfred Adler mit Marx in Verbindung gebracht hat. Wer also Angela Merkel aus Mangel an Gesellschaftskritik und Geschichtsbewußtsein für die Lösung der Frauenfrage hält, der wird heute abend vielleicht ins Staunen kommen über die frische Gedankenkraft einer Frau, die in dieser Veranstaltung sozusagen in Dialog mit ihren Urenkeln tritt.
Wir freuen uns sehr, heute Dr. Jana Mikota bei uns zu haben, die mit dem Jahrgang 1973 eine der jüngsten Wissenschaftlerinnen sein dürfte, die Alice Rühle-Gerstel wiederentdeckt haben. Jana ist viele Jahre nach Alice wie diese in Prag geboren worden, hat sich schon in ihrer Magisterarbeit mit Alice Rühle-Gerstel beschäftigt und ihre Doktorarbeit ebenfalls über diese verfemte Autorin geschrieben. Wir haben es also mit einer professionellen Beschäftigung zu tun, die mehr bedeutet als nur akademisches Studium. Wir freuen uns, mehr zu erfahren durch diese Referentin, die nun wieder in Austausch treten wird mit uns und Ihnen, um eine Wiederentdeckung zu ermöglichen, die gerade deshalb so in unsere Zeit paßt, weil sie scheinbar nicht in diese Zeit paßt.
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