Ursula Elsner


Do. 4. November 2010
20.00 Uhr

Dr. Ursula Elsner (Freiburg/Brsg.)
spricht über das "Deutschlandlied"
20 Jahre nach der Wiedervereinigung


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Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall stehen in der Berliner Republik alle Menschen, die sich an der sogenannten Nationalhymne emotional stoßen oder intellektuell an ihr Kritik üben, wieder als "Nestbeschmutzer" da, die sich weigern, ein gleichgeschaltetes Nationalgefühl zu entwickeln. Dabei war das "Deutschlandlied" als Übernahme aus dem "Dritten Reich", wo es von den völkisch gesonnenen Nazis mit fanatischer Inbrunst gesungen wurde, nicht das Ergebnis einer demokratischen Volksabstimmung, sondern das kompromissvolle Ergebnis der brieflichen Beratung zwischen zwei Männern, die 1949 als Staatsmänner an der Spitze des noch unter alliierter Militärverwaltung stehenden Westdeutschland standen: Konrad Adenauer und Theodor Heuss.

Was macht die Geschichte dieser Hymne von 1841 bis heute aus, wer war dieser Hoffmann von Fallersleben, der sie tief im 19. Jahrhundert dichtete, als es noch gar kein Deutschland gab? Und wieso ist in Vergessenheit geraten, daß die schöne Melodie des Österreichers Joseph Haydn eigentlich seinem Kaiser gewidmet war?

Ursula Elsner, die in Freiburg/Breisgau Literaturwissenschaft lehrt, gibt - mit Bild- und Tonbeispielen - einen historischen Rückblick auf die Geschichte des Deutschlandliedes und die fehlgeschlagenen Versuche, es durch andere Texte und Gesänge zu ersetzen. Dabei sollen auch die kuriosen und vergnüglichen Seiten des Themas Raum bekommen.


Aus der Einführung von Mira Maase:

Als die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 1989 eine kleine Broschüre mit dem Titel "Argumente gegen das Deutschlandlied" veröffentlichte, bekam sie umgehend aus dem westdeutschen Bundesinnenministerium (Abteilung Verfassung, Strafrecht und Verwaltung) einen Drohbrief: Das Deutschlandlied sei "Ausdruck eines alle Deutschen verbindenden, ganz natürlichen Patriotismus" und nicht, wie der Untertitel der GEW-Broschüre lautet, "Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Loblieds auf die deutsche Nation". Und dann heißt es in dem Drohbrief weiter: "Mit einem undifferenzierten Verdikt über das ganze Lied aber wird an einem Fundament des demokratisch-republikanischen Konsens gerüttelt."

Mit dieser Veranstaltung erinnern wir an die Initiative der Bildungsgewerkschaft GEW, die sich nicht einschüchtern ließ und noch in einer Presseerklärung vom August 1991 pointiert proklamierte:"Das Deutschlandlied gehört ins Museum." Und im Mai 2006 erklärte diese Bildungsgewerkschaft, ihren kulturellen Auftrag ernstnehmend, in Frankfurt am Main anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, daß ein angeblich "natürlicher Patriotismus" angesichts der gesellschaftlichen Probleme in diesem Land verlogen sei.

Wer, wie das Bundesinnenministerium 1989 oder 20 Jahre später die gesamte Medienlandschaft für Schwarz-Rot-Gold und "Deutschland, Deutschland über alles" eintritt, vertraut auf die Geschichtslosigkeit der jungen Generation, die nichts davon weiß, daß in der Restaurationsperiode nach 1945 viele Traditionslinien der deutschen Geschichte fortgeführt wurden, die besser unterbrochen worden wären. Was ist also das sogenannte neue Nationalgefühl anderes als Gleichschaltung durch die Medien?

Wir wollen heute abend die geschichtliche Dimension dieses Deutschlandliedes in den Mittelpunkt stellen und freuen uns sehr darüber, daß die aus der untergegangenen DDR stammende Germanistin Dr.Ursula Elsner, die in Freiburg/Breisgau Literaturwissenschaft lehrt, sich bereiterklärt hat, mit uns zusammen das heiße Thema Nationalgefühl und "Neuer deutscher Patriotismus" zu behandeIn. Wer jetzt die Luft anhält, darf sich trotzdem freuen, denn ich kann Ihnen versichern, es gibt auch einiges zu lachen.

Fotos: © Peter Worm

Do. 15. April 1999
20.00 Uhr
Dr. Ursula Elsner (Freiburg/Brsg.)
spricht über Franz Fühmann
Der sich immer wieder neu erhob...

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»Franz Fühmann«, Holzschnitt von HAP Greishaber
Holzschnitt von HAP Grieshaber
Im Rahmen unserer gegenwärtigen Grieshaber-Ausstellung spricht die Freiburger Literaturwissenschaftlerin und Fühmann-Expertin Dr. Ursula Elsner über den Schriftsteller und Grieshaber-Freund Franz Fühmann (1922-1984), der über sich selbst sagte: "Ich gehöre einer Generation an, die über Auschwitz zum Sozialismus gekommen ist."

Wir trafen uns wieder in der Halle des Rostocker Warnow-Hotels. Dort, im Dämmerlicht, tief in den Sesseln, sprachen Grieshaber und Fühmann die halbe Nacht hindurch über ihre Leiden an Deutschland. Was Kunst sei. Was sie nicht sein könne. Über Macht und Ohnmacht von Bildern und Büchern. Sie sprachen über Politik, Moral, über die beiden gemeinsame Anstrengung, Utopie zu produzieren, Vorrat für später, auch wenn die herrschende Zeit keinen Bedarf dafür erkennen ließe... Auf der Heimfahrt ins Schwabenland sagte Grieshaber, er kenne keinen dieser Generation, der so gebrochen sei. Und er habe sie alle gelesen. Keinen, der nach solchen Frakturen: Jesuitenschule, Hitlerjugend, Nazisoldat, russische Kriegsgefangenschaft, Antifaschule, Stalinfunktionär, Bitterfelder Weg, sich von Mal zu Mal neu erhebe, ins Gericht gehe mit sich selbst, mit der Kunst, mit der Lauterkeit, narbenbedeckt vom uralten Hader, was denn Gerechtigkeit sei.

Margarete Hannsmann (Annäherung, 1987)

Ursula Elsner im Kulturzentrum
Foto: © Peter Worm

Biographie
Ursula Elsner
Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Ursula Elsner, geboren 1954 in Magdeburg (DDR), hat über Franz Fühmann promoviert. Sie lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau.

Biographie
Franz Fühmann
Franz Fühmann in seiner Garage im Märkischen Buchholz
Foto: Christian Borchert, Berlin (Aufbau Verlag Berlin und Weimar GmbH/Archiv)


Franz Fühmann wurde am 15. Januar 1922 in Rochlitz an der Iser (Rokytnice nad Jizerou/CSR) geboren. Sein Vater betrieb dort die Apotheke samt einem pharmazeutischen Kleinunternehmen. Dem Besuch der Volksschule 1928/32 folgte die Aufnahme in das Jesuitenkonvikt Kalksburg bei Wien. Nach vier Jahren Internatsleben Wechsel ins Realgymnasium Reichenberg (Liberec), 1939 ins Reform-Realgymnasium Hohenelbe (Vrchlabi), 1941 Notabitur und Reichsarbeitsdienst.

1941/45 Einsatz als Soldat einer Luftnachrichtentruppe (zuletzt Obergefreiter) in der Ukraine und in Griechenland; 1945/49 sowjetische Kriegsgefangenschaft; ab 1946 Kursant, später Assistent und Lehrgruppenleiter an Antifa-Schulen, Ende 1949 Entlassung in die DDR.

1950/58 hauptamtliche Tätigkeit im Apparat der National-Demokratischen Partei Deutschlands; ab 1958 freischaffend, Wohnsitz (Ost-)Berlin, bevorzugte Arbeitsstätte in Märkisch Buchholz (Unterer Spreewald). Vielfache Erkundungen des Arbeitslebens in landwirtschaftlichen Betrieben, auf der Warnow-Werft Rostock sowie anderenorts, ab 1974 intensiv im Mansfelder Bergbaurevier unter Tage.

1953/65 und 1973/76 Mitarbeit im Vorstand des Deutschen Schriftstellerverbands, zeitweilig auch in zentralen Gremien des Deutschen Kulturbunds und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft; seit 1961 Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Neben immenser literarischer Arbeit auf vielen, immer weiteren Feldern über lange Jahre engagiertes Wirken in der Öffentlichkeit; Teilnahme an gesamtdeutschen Gesprächen (1952 in Stetten bei Stuttgart, in Bayreuth, 1954 beim Wartburgtreffen christlicher und marxistischer Kulturschaffender), am tschechoslowakischen Schriftstellerkongreß 1956, an der COMES-Tagung 1963 in Leningrad, an der Hommage für Rilke zu dessen 100. Geburtstag in Frankfurt am Main, an der »Berliner Begegnung zur Friedensförderung« Dezember 1981. Bekenntnis zur Friedensbewegung, Einsatz für unterdrückte junge Schriftsteller, für die Würde und Integration geistig Behinderter. Schon früh Reisen nach Westdeutschland, in die CSR, UdSSR, nach Polen, Rumänien, Österreich, spät in die Schweiz, oft und ausgiebig nach Ungarn. Franz Fühmann starb nach längerer schwerer Krankheit und wiederholten Operationen am 8. Juli 1984 in Berlin. Seine Grabstätte liegt wunschgemäß in Märkisch Buchholz.

Preise:

Vaterländischer Verdienstorden in Bronze 1955, 1. Preis des Ministeriums für Kultur zur Förderung des Gegenwartsschaffens und Heinrich-Mann-Preis 1956, Nationalpreis der DDR (III. Klasse) 1957 und (II. Klasse) 1974, Kunstpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes 1962 und 1964, Johannes-R.Becher-Preis 1963, Barlach-Medaille 1970, Lion-Feuchtwanger-Preis 1972, Kritikerpreis für Literatur (West-Berlin) 1977, Verdienstorden der Arbeit (Ungarn) 1978, Preis der Bestenliste des Südwestfunks und Geschwister-Scholl-Preis 1982.

Werke (Auswahl):

»Die Fahrt nach Stalingrad« Poem. Aufbau, Berlin 1953; »Die Nelke Nikos«, Gedichte, (1953); »Kameraden«, Novelle. Aufbau, Berlin 1955; »Aber die Schöpfung soll dauern«, Gedichte, (1957); »Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen«, Erzählung. der Kinderbuchverlag, Berlin 1960; »Kabelkran und Blauer Peter«, Reportage. Hinstorff, Rostock 1961; »Lustiges Tier-ABC«, Lyrik. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1962; »Böhmen am Meer«, Novelle. Hinstorff, Rostock 1962; »Die Richtung der Märchen«, Lyrikband. Aufbau, Berlin 1962; »Das Judenauto«, Erzählungen. Aufbau, Berlin 1962; »König Ödipus«, Gesammelte Erzählungen. Aufbau, Berlin 1966; »Miklós Radnóti: Ansichtskarten«, Nachdichtungen. Volk und Welt, Berlin 1967; »Das hölzerne Pferd: die Sage vom Untergang Trojas und von den Irrfahrten des Odysseus«, Nach Homer und anderen Quellen neu erzählt. Neues Leben, Berlin 1968; »Shakespeare-Märchen«, Nacherzählung. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1968; »Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens«, Tagebuch. Hinstorff, Rostock 1973; »Prometheus. Die Titanenschlacht«, Roman. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1974; »Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel«, Sprachspielbuch. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1978; »Der Geliebte der Morgenröte«, Erzählungen. Hinstorff, Rostock 1978; »Saiäns-fiktschen«, Erzählungen. Hinstorff, Rostock 1981; »Vor Feuerschlünden. Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht«, Essay, Briefe und Lyrik hrsg. von F. Fühmann. Hinstorff, Rostock 1982; »Kirke und Odysseus«, Ballett. Hinstorff, Rostock 1984; »Das Ohr des Dionysios«, Nachgelassene Erzählungen. Hrsg. von Ingrid Prignitz. Hinstorff, Rostock 1985; »Was für eine Insel in was für einem Meer. Leben mit geistig Behinderten«, Mit Fotografien von Dietmar Riemann. Hinstorff, Rostock 1985; »Dreizehn Träume«, (1985); »Die Schatten«, Hörspiel (1986); »Urworte Deutsch.« Aus Steputats Reimlexikon. Hrsg. von Ingrid Prignitz. Hinstorff, Rostock 1988; »Märchen auf Bestellung« Hrsg. von Ingrid Prignitz. Hinstorff, Rostock 1990; »Im Berg«, Texte aus dem Nachlaß. Hrsg. von Ingrid Prignitz. Hinstorff, Rostock 1991; »Monsieur - wir finden uns wieder«, Briefe 1968-1984. Briefwechsel mit Christa Wolf. Hrsg. von Angela Drescher. Aufbau, Berlin 1995;

(Entnommen aus Hans Richter »Franz Fühmann - Ein deutsches Dichterleben«, Aufbau-Verlag 1992)


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