Buchkritik Fritz Arnold

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Neue Züricher Zeitung vom 8.4.1998, von Hanns-Josef Ortheil

Zeiten der Freundschaft

Fritz Arnolds Erinnerungen

Fritz Arnold,1916 in München geboren, lange Zeit Redaktor und Lektor in mehreren bedeutenden deutschen Verlagen, hat ein kleines Erinnerungsbuch über die Kriegsjahre geschrieben. Als heute über Achtzigjähriger hat er sich also auf einen Zeitraum eingelassen, der bereits mehr als fünfzig Jahre zurückliegt, jedoch wohl für ihn so etwas, wie ein zentraler Abschnitt seiner Lebensentscheidungen war.

Viele Ältere zieht es in ihren mündlichen Erzählungen ja immer wieder hin zu diesen Kriegsjahren; für das, was dabei an Kriegsdramatik entsteht, haben die Jüngeren jedoch längst kein Ohr mehr. Im Falle von Fritz Arnold könnte das anders sein. Seine Erinnerungen kommen vollkommen ohne die klassischen Szenen der Kriegs-Literatur aus. "Der Feind" liegt nicht in Sichtweite, um die russischen Ebenen werden weite Bögen gemacht, das Buch verzichtet auch auf die bekannten Schilderungen von Verzicht, Ausdauer und Mut.

Im Grunde hat Arnold den Krieg überhaupt nicht gesehen. Er war Soldat, aber er war es an abgelegenen Orten der Kriegsgeschichte, zudem war er nach früher Erkrankung ein Schreibsoldat, einer also, der auch in diesen Kriegsjahren seinen literarischen Neigungen zumindest teilweise nachgehen konnte. Das gibt dem Buch einen merkwürdig entspannten Charakter. Erzählt wird von dramatischen Jahren, die weltgeschichtliche Katastrophe rückt jedoch nicht an den Autor heran; als Schreibsoldat verbringt er diese Jahre auf wechselnden, entlegenen Posten wie Rom oder Tunis, schon geographisch ist das so, als wäre Fritz Arnold ganz an die Peripherie verschlagen worden, um dort zu überdauern.

Und so sind es denn auch nicht die äußeren Erlebnisse, nicht die Erfahrungen von Krieg oder Politik, die diese Erinnerungen bestimmen; Arnold geht vielmehr den Erfahrungen des Erwachsenwerdens nach. Das könnte eine Geschichte der inneren Spannungen und Gefühle werden, aber auch das ist dieses Buch nicht geworden. Es kann sich zwischen dem Außen und dem- Innen nicht recht entscheiden, es verharrt irgendwo in der Mitte. Der Leser blickt am Ende auf die Geschichte einer Verwandlung zurück, doch die bestimmenden Elemente jener Verwandlung bleiben beinahe verborgen. Dieses Verbergen hat mit Arnolds Willen zur Diskretion zu tun.

Er will nichts bekennen; er will auch nicht weit ausholen, er will nur andeuten. Aus solchen Andeutungen hat der Leser die ersten Stationen eines Lebensweges zu entschlüsseln.

Die beginnen 1941 in Rom in einem bildungsbürgerlichen Milieu. Arnold hat ausreichend Zeit für Gespräche und Lektüren, die den Krieg kaum berühren. Er besucht Ludwig Curtius, den früheren Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts, er verkehrt mit Kunstwissenschaftlern der Biblioteca Hertziana, und er liest die Romane Thomas Manns. Als Stadt spielt Rom in diesen Erinnerungen keine Rolle. Atmosphären und Schilderungen sind Arnolds Sache nicht, die Hintergründe werden höchstens skizziert, der junge Arnold beobachtet weniger seine Umgebung, eher schon die Kunstschätze mit einem gewissen Interesse.

Schon hier bemerkt der Leser, daß dieses Buch weder ein Zeitdokument noch ein anekdotisches Erinnerungsbuch sein will. Der Stil ist sachlich, beinahe spröde, der Leser wird nirgends mit Material verwöhnt, das seine Phantasie länger beschäftigen würde. Fritz Arnolds Bericht ist vielmehr ein klassischer Altersbericht, der schnell aufs Wesentliche zu sprechen kommt, nirgends abweicht, alles Träumen längst hinter sich gelassen hat. Die Sprödigkeit ist freilich eine Haltung, die es dem Leser nicht leichtmacht. Erst langsam begreift er, um welche Motive sich dieses Erinnern zentriert.

Fritz Arnold erinnert nämlich, indem er Menschen porträtiert, die für einen kleinen Zeitraum des Krieges Freunde wurden. Der Rückblick ähnelt dadurch dem langsamen, nachdenklichen Gang durch eine Porträtgalerie. Sie führt aus den frühen bildungsbürgerlichen Kreisen Roms hin zu ganz individuell gesehenen, oft zunächst unscheinbaren Personen, die dem jungen Arnold ganz neue Welten auftun. Durch die Freundschaft mit diesen Männern lernt Arnold, das Bildungsbürgerliche nach und nach als Illusion zu begreifen. Er wird realistischer, erlebt auch direkter, spontaner; der Krieg, der ihn nie zum Eingreifen zwingt, wird für ihn zu einer Art Medium, das aus dem jugendlichen Schwärmer einen Mann mit einer gewissen Lebenserfahrung macht. Diese Verwandlung ist das eigentliche Thema des Buches. Sie wird auf sympathische Weise nirgends lange beredet, sondern bleibt verborgen in den Schilderungen der Menschen, die Arnold nahetreten. Gerade hier, in den knappen Skizzen eines Freundes, seiner Art, sich zu bewegen, seines Fühlens und seiner Unsicherheiten, wird Arnolds Buch lebendig. Hier nämlich spürt man seiner Erinnerung etwas Vibrierendes an, als wollte sie noch einmal einen Zauber aufbieten, die ferne Vergangenheit zurückzuholen.

Am deutlichsten wird das an einer besonders hervorgehobenen Passage des Buches, Arnolds Zusammentreffen mit André Gide in Tunis. Es handelt sich nur um ein kurzes Treffen in einer französischen Buchhandlung. Arnold hat erfahren, daß Gide sich manchmal in ihr aufhält. Es kommt zu einer kurzen Begegnung von einer Stunde, dem deutschen Soldaten ist es peinlich, in seiner Uniform vor dem geschätzten Dichter zu erscheinen, doch der hat schnell erkannt, mit wem er es zu tun hat. In seinen später erschienenen Tagebüchern aus diesen Jahren notiert Gide: "Der liebenswürdige Fritz Arnold ist der erste (und einzige) Deutsche; mit dem ich in Tunesien gesprochen habe. Ich zögerte anfangs mich mit ihm zu treffen, fand dann aber meine Zurückhaltung unsinnig. Vom Krieg war zwischen uns nicht die Rede …"

Arnolds kurze Anfrage an den großen Autor und die kleine schriftliche Nachricht, durch die Gide sich bereit erklärt zu kommen - das sind hier Züge eines Freundschaftsrituals, das auf Anerkennung, Respekt und großer Höflichkeit beruht.

An dieses Rituelle der Begegnungen hält sich Arnold in seinem Erinnerungsbuch. Der Krieg läßt die Freundschaften zufällig entstehen, aber er macht aus ihnen intensive Erfahrungen, denen der junge, noch naive Arnold sich nicht verweigern kann. Oft führt ihn nur das Instinktive, doch gerade darin liegt für ihn die Faszination.

Im Juni 1947 kommt Arnold wieder nach München. Er denkt zunächst daran, sein literatur- und kunstgeschichtliches Studium wieder aufzunehmen. Doch dann begreift er, daß er nicht mehr studieren kann. "Was willst du denn noch studieren?" fragt ihn ein Freund. Und Arnold weiß, daß ihm gleichsam unter der Hand ein Wissen erwachsen ist, das jetzt stärker ist als das Gelehrtenwissen. Einige Bücher hat er freilich durch den Krieg gerettet. Er stellt sie auch wieder in seinem Zimmer auf: "Zu fast allen hatte ich nun ein anderes Verhältnis, aber alle waren Stationen auf meinem Weg gewesen."

So wurde aus Fritz Arnold der Redaktor einer Zeitschrift und später ein Lektor. Sein Rückblick auf die Kriegsjahre läßt ahnen, warum er den von ihm geschätzten Autoren ein guter Freund gewesen sein mag.

Hanns-Josef Orteil

Fritz Arnold: »Freundschaft in Jahren der Feindschaft«. Carl-Hanser-Verlag, München 1998, 130 S.

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