Paul Feyerabend - "Neugier auf den neuen Tag"

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24. Februar1994/ Wochenpost/Nr.9

Neugier auf den neuen Tag

Zum Tode des antiautoritären Philosophen Paul Feyerabend /
Von Thomas Schmid

Es ist üblich geworden, ungehalten über die achtziger Jahre zu reden. Glaubt man den Worten so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Wolfgang Thierse und Wolfgang Schäuble oder Frank Schirrmacher und Klaus Hartung, dann müssen das elende Lotterjahre gewesen sein: keine Spur von nationalem Interesse, provinzielle Selbstsucht in den Grenzen zweier deutscher Rumpfstaaten, mieses Glück in der Nische, übermalt in den öden Farben von »68«. Kurz, allenthalben postmoderner Stillstand. Keine Parole scheint dies klarer auszudrücken als anything goes, alles egal, wie der Volksmund, auch der gelehrte, zumeist übersetzt. Die achtziger Jahre als eine Zeit universeller Wurstigkeit und Paul Feyerabend, der letzte Woche in Zürich gestorbene Philosoph, als ihr Guru.

Selten ist eine Wendung aus kritischem Kontext so populär geworden wie Feyerabends anything goes. Und selten auch ist eine so beharrlich mißverstanden worden. Feyerabend galt als ein Bruder Leichtfuß, als ein unverantwortlicher Relativist, der bereit sei, aus purer Lust am intellektuellen Spiel alle Gewißheiten und Werte in Frage zu stellen und über Bord zu werfen.

Fast nichts davon trifft zu. Feyerabend war einer, der leidenschaftlich dafür plädierte, alle Fragen offenzuhalten, gerade auch die, die endgültig beantwortet zu sein scheinen. Jedes Spiel immer wieder neu eröffnen: Das war sein Credo. Seine großen Werke - »Wider den Methodenzwang« (1976), »Erkenntnis für freie Menschen« (1980), »Irrwege der Vernunft« (1989) - stellen eine nie abbrechende Auseinandersetzung mit jener modernen Hybris dar, die wissenschaftlich daherkommt. »Kein Gedanke ist so alt und absurd, daß er nicht unser Wissen verbessern könnte.« Sätze dieser Art (und dieses Geschmacks) hat er gemocht.

Er, der Schüler und Übersetzer von Karl Popper, war ein radikaler Antiautoritärer. Er selbst sprach von einer »anarchistischen Erkenntnistheorie«, und das Stigma des Radikalinskis ist er nie losgeworden. Doch alle diese Worte treffen es nicht. Mit leidenschaftlicher Ausdauer zog er immer wieder gegen das eine zu Felde: gegen den besinnungslosen Angriff der Gegenwart auf Vergangenheit und Zukunft, gegen die Anmaßungen des Rationalismus. Weil er die Wahrheit verwarf, hat man in ihm einen fröhlichen Nihilisten, einen leichtsinnigen Feind der Wahrheit sehen wollen - und übersah den feinen Unterschied: Feyerabend rieb sich an jener Ratio, die keine anderen Götter neben sich dulden wollte.

So gesehen war er ganz einfach ein konsequenter Aufklärer, der die Methode der Aufklärung auch auf deren Hervorbringungen anwandte. Wissenschaftliche Machtbildungen waren ihm zuwider, und immer wieder konnte er zeigen, daß die Wissenschaften längst nicht so vernünftig waren, wie sie dem modernen Publikum weismachen wollen. Immer spielten Zufall, Dilettantismus, Eitelkeit etc. eine große Rolle. Früh schon spürte Feyerabend den totalitären Hang im Kult der Wissenschaftlichkeit auf und brachte dagegen den Laien, den Laienverstand und den Common sense ins Spiel. Das meinte er, wenn er sagte, man müsse - gerade in Zeiten wissenschaftlicher Hochrüstung - auch den »unwissenschaftlichen« Ideen den Zugang zu Forschungsmitteln sichern. Feyerabend war einer, der es mit der Demokratie ernst meinte und der nicht bereit war, die wissenschaftlichen Priester von ihr auszunehmen.

Anything goes meinte bei ihm dies: gegenüber Überraschungen offen sein, möglichst keine Möglichkeiten ausschließen. Diese Haltung gibt seinen Büchern etwas Heiteres, Elegantes, Spielerisches. Darüber ist oft ihr Ernst übersehen worden. Feyerabend war ein antiutopischer Denker; gerade deswegen aber trieb ihn die Neugier auf diese Welt um: Rastlos erprobte er neue Beobachtungssprachen, neue - oder ganz alte - Sichtweisen. Jeder Tag war der erste Tag.

Er setzte - das machte den Skandal aus - das Instrumentarium der wissenschaftlichen Zivilisation auch gegen diese ein. In diesem Sinne war er ein ökologischer Denker - einer freilich, der nicht das Verbot, sondern die große Chance der Selbstreflexivität, des Gesprächs betonte. Ohne Optimist zu sein, meinte er doch: Menschen haben das wunderbare Vermögen, sich selbst und ihre Hervorbringungen zu korrigieren. Dazu braucht es, auch das ist eine Lehre der achtziger Jahre, Neugier auf den neuen Tag, Liebe zur Freiheit und - Anmut.

Lektüre

Von Paul Feyerabend ist u.a. lieferbar:

Wider den Methodenzwang, Suhrkamp, Taschenbuch 597, 24 DM.

Erkenntnis für freie Menschen, edition suhrkamp, 18 DM.

Wissenschaft als Kunst, edition suhrkamp, 12 DM.

In Vorbereitung:

die Autobiographie, die Paul Feyerabend kurz vor seinem Tod abschloß.

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