Der Zeitgenosse - Buchkritik
Pressedienst Nr. 4, (September 1997)
Rita Kuczynski: »Staccato«

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Der Ost/West-Roman
Rita Kuczynski
»Staccato«
Roman
Frankfurter Verlagsanstalt 1997
184 S., geb. DM 29,80

Die Ostberlinerin Rita Kuczynski wollte Konzertpianistin werden, wurde aber Philosophin und wechselte Anfang der achtziger Jahre in den auch in der DDR risikoreichen Status der freischaffenden Autorin. Aus einem ursprünglich wissenschaftlichen Projekt wurde ein erstes belletristisches Werk: »Meine Nächte mit Hegel«. Noch vor der Wende folgte der Roman »Wenn ich kein Vogel wär«, der das geteilte Berlin der fünfziger Jahre aus der Sicht eines zwischen Ost und West pendelnden Kindes beschreibt. Hier entwickelte die Kuczynski eine naive Literatursprache, die auch ihrem neuen Werk »Staccato« Eindringlichkeit verleiht. Das Buch wurde von Lesern und Medien sehr kontrovers aufgenommen, interessanterweise positiver, je weiter der Ort der Rezeption vom Entstehungsort entfernt ist.
Das mag daran liegen, daß nicht nur die naive Sprache des Buches, sondern auch seine obsessive Zentrierung um ein einziges Motiv genau jene Struktur ist, die im heutigen Literaturbetrieb gefragt ist. Auch das Motiv selbst - das sich in sein Schneckenhaus zurückziehende Ich, dem wesentliche Bezugspunkte zur Welt weggebrochen sind - zählt zu den allgemein anerkannten. Woher dann doch die zahlreichen Irritationen? »Staccato« ist der innere Monolog einer Ex-Philosophin, die erkannt hat, daß sie in der neuen Zeit, die sie die "Moderne" nennt, keinerlei Chance mehr hat. War sie systemnah oder gar Stasi? Nein, die Machthaber der verflossenen Ära nennt sie durchweg ihre "Feinde", derentwegen sie immer mal wieder mit psychiatrischen Kliniken zu tun hatte. Denn für sie war unakzeptabel, daß gegenwärtiges Leben einer noch nicht vorhandenen, später vielleicht mal großen Sache untergeordnet werden sollte. Die Anziehungskraft des Westens hat immer darin bestanden, daß sich das Individuum hier scheinbar ganz entfalten konnte. Als literarische Hinderungsgründe dieser Entfaltung sind Armut und körperliches Handicap anerkannt, neuerdings vor allem fehlende Political Correctness zwischen den Geschlechtern. Rita Kuczynski umfährt jedoch absichtsvoll genau diese Konfliktquellen: Ihre Heldin findet sich nach der Wende zunächst zwar tatsächlich ohne Arbeit und ohne den geliebten Mann wieder, erbt aber alsbald ein Haus und hat auch mehrere nette und nützliche Männerbekanntschaften. Außerdem fuchst sie sich in die Welt der Computer, des Internets und der Mail-boxes ein, womit sie in die Kommunikationssysteme der Glücklichen und Herrschenden dieser Welt eingeschaltet ist. Und trotzdem findet sie die Pedale nicht, auf denen sie in die "Moderne" radeln könnte. Die Entmündigung, die die "Feinde" bei ihr
versucht, aber nicht vollends geschafft hatten, gehen nun ungleich machtvollere Institutionen an: Zuerst die Arbeits- und Sozialämter, dann auch die Krankenkassen und diverse Therapiegruppen, schließlich auch die Bewilligungsgremien für Forschungs- und Projektgelder. Allen diesen Anstalten kann die Heldin zwar Geld abmelken, niemals aber etwas, was mit ihrer Vorstellung von Selbstbestimmung und Weltverhältnis zu tun hätte. Das gelingt auch nicht mit dem geerbten Haus. Sofort schalten sich wieder diverse Ämter wie Umwelt- und Denkmalsschutz ein sowie die sogenannten Sachzwänge, sprich: notwendige Modernisierungen im und am Haus. Denen kann die Heldin nur mit Hilfe eines Anwalts beikommen, womit sie augenblicklich von der Verfügungsgewalt und auch vom Genuß an ihrem Haus entbunden ist. Ihrem Glück stellen sich aber auch noch höhere Gewalten entgegen wie elektrostatische Aufladungen in ihrer Wohnung, die den Betrieb des Computers unberechenbar machen, und schließlich auch noch dessen bockige Weigerung, die Ich-Form von Texten zu speichern oder gar zu kopieren ("Aber wenn Ich auf Ich wirklich kopierbar ist, gibt es auch für mich eine neue Lösung. Ich überlebe mich dann vielleicht als Kopie, auch wenn ich noch nicht weiß, wie."). Einer ihrer netten Männer bastelt zwar unaufhörlich an diesen Computerproblemen herum - selbst von außen, einem hightech-Zentrum in den USA. Der Erfolg scheint greifbar nahe, denn beide reisen in jenes Land, in dem auch heute noch Wunder möglich sein sollen, und fühlen sich in der Freiheitsstatue bereits ein wenig glücklich. Als sie zurückkommen, stellt sich freilich heraus, daß der Rechtsanwalt das Haus zugrundegewirtschaftet und die Einweisung der Besitzerin samt ihrer Katze in eine humane Aufbewahrungsinstitution bereits vorbereitet hat.
Rita Kuczynski ist es gelungen, wesentliche Teile des sozioökonomischen Gerippes der über sie gekommenen "Moderne" in literarische Sprache zu bringen. Was der Literaturbetrieb kategorisch für unschön oder gar unmöglich hält, konnte ihr nur Anerkennung bei seinen klügeren Vertretern einbringen, denjenigen, die sich nicht davor fürchten, den Kaiser einmal nackt zu sehen. Ganz besonders schwankend in diesem Punkt sind die von der Literaturgesellschaft des Ostens übrig Gebliebenen, Leute, die sich auch heute noch einen Hardcover kaufen können. In Pankow machte ich eine Lesung mit, in der das Publikum kaum Spaß an der Schilderung der Verstrickungen hatte, die einem im sozialen Netz oder auch im Internet blühen. Es äußerte das blanke Entsetzen der vielleicht bald direkt Betroffenen. In dieser Situation wollte es nackten fun, nicht den nackten Kaiser sehen. Ich finde es trotzdem gut, wenn die Literatur auch den mal zeigt.
Dr. Sabine Kebir

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