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Diskussionsforum

Harold Pinter

(2.1.06) Der englische Dramatiker Harold Pinter (geb. 1930 in London) hat in seiner Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises 2005 Klartext geredet: Die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika wird in ungewöhnlich scharfer Form kritisiert. In der Reaktion der deutschen Feuilletons führten die Gegner und Feinde von Harold Pinter das große Wort, ohne daß sie seine Rede im Wortlaut abzudrucken wagten. Wir haben deshalb, auf Wunsch einiger Freunde, etwas für die Verbreitung dieser Rede in deutscher Übersetzung getan und um Diskussionsbeiträge gebeten. Wir dokumentieren nun die ersten spontanen Stellungnahmen und rufen dazu auf, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Wer will, kann die Pinter-Rede bei uns abrufen: al-kulturzentrum@t-online.de



Prof. Kurt Flasch, Mainz:

"1. Das ist eine Rede, an der sich endlich einmal wieder zeigt, wozu es Intellektuelle gibt.

2. In Südamerika kenne ich mich nicht aus. Daher sage ich zu diesem Teil der Rede und zur früheren Außenpolitik der USA nichts. Aber die Lügen über den Irak, die moralistischen Verbrämungen des Angriffskrieges und das ideologische Programm präventiver Kriege genügen, um Pinter recht zu geben.

3. Ich vergesse darüber nicht: Es waren die Amerikaner, die mich - mit zugegeben harten Schlägen - von den Nazis befreit haben und die, als alle oder fast alle Angst vor Stalin hatten, uns geschützt haben.

4. Es wäre schade, wenn wegen der eindeutigen politischen Position der Rede Pinters seine Verteidigung der poetischen Ambivalenz übersehen würde.

5. Kläglich, ja schändlich finde ich es, wenn Kommentatoren, statt über Wahrheit oder Unwahrheit dieser Rede zu argumentieren, auf Nebenschauplätze ausweichen, etwa, indem sie von der Krankheit oder Eitelkeit des Autors faseln oder sagen, er sei halt ein enfant terrible. Ich hasse die Kunst des Ablenkens."


Felicia Langer, Tübingen:

"Ich unterstütze völlig die Nobelpreisrede von Harold Pinter.

Ich finde die Rede sehr wichtig und prägnant.

Die Rede beinhaltet die traurigen Wahrheiten über die britische und amerikanische Politik und ihre verbrecherischen Züge.

Am 9.12.1990 habe ich eine Dankesrede im schwedischen Parlament in Stockholm gehalten, bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises.
Ich habe klar und deutlich die Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk angeprangert.

Harold Pinter hat die Aggression von England und USA aufs Schärfste verurteilt. Er hat sich Lob und Anerkennung verdient."


Prof. Werner Mittenzwei, 16321 Bernau:

"Harold Pinter weiß um die Schwierigkeiten, die Wahrheit in die Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb hat er die Verleihung des Nobelpreises genutzt, um in seiner Vorlesung darzulegen, wie die Vereinigten Staaten ihre Rolle in der Welt auffassen. Während noch vor einiger Zeit ein führender Außenpolitiker der Bundesrepublik erklärte, die USA kritisiert man nicht, legte Pinter dar, daß sich die USA einen Dreck um die Vereinten Nationen und das Völkerrecht scheren.

Er ging noch weiter, im Unterschied zur wissenschaftlichen Kultur in unserem Lande machte er darauf aufmerksam, daß heute jeder weiß, was während der Nachkriegszeit in der Sowjetunion und in Osteuropa an systematischer Brutalität passiert ist; in diesem Fall ist alles festgehalten und dokumentiert. Aber die Verbrechen der USA im selben Zeitraum werden weder eingestanden noch überhaupt als Verbrechen wahrgenommen. Pinter hat seine Nobelpreis-Vorlesung benutzt, um zu sagen, wie unsere heutige Welt aussieht bei 702 militärischen Anlagen der USA verteilt in 132 Ländern.

Der deutsche Regisseur Peter Zadek, der Pinters Darlegung ohne jede Einschränkung vertritt, hat in einem Interview in der Berliner Zeitung jedoch bedauert, daß die Presse die Nobelpreis-Rede Pinters nicht verbreitet. Deshalb ist es richtig, daß wir uns, das Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität, hinter Pinter stellen. Das ist unsere Gratulation zum Nobelpreis."


Maxi und Hans Besold, 82008 Unterhaching:

"Wir waren fast erschrocken über so viel Offenheit und begeistert, daß dies alles anläßlich einer Nobelpreisverleihung gesagt wird. Die Welt müßte eigentlich aufhorchen.
Die geschilderten Verbrechen, diese Geschichte ist ja im Bewußtsein, aber daß es so deutlich, so offen von einem Schriftsteller anläßlich seiner Nobelpreisverleihung gesagt wird, ist großartig, sein Mut und seine Ehrlichkeit bewundernswert. Diese Rede berechtigt zu Hoffnungen. Vielleicht ist sie für andere ein Beispiel."


Hermann Peter Piwitt, Hamburg:

"Pinters Rede war mit Abstand das Genaueste, Gefaßteste und Souveränste, was ich zur Sache in den letzten Jahren von Kollegen las. Die mürrischen bis herablassenden Reaktionen in der 'freien' Presse (z.B. FR, FAZ, SPIEGEL und WELT) sagten alles über die (fast) totale Verkommenheit des Berufsstands als in Dienst genommener Geist. Dank für Eure sorgende Neugier!
Euer Piwitt"


Brigitte Junker, 82041 Oberhaching:

"Pinter ist für mich ein Dichter, der sich mit existentiellen Grundsituationen, Grenzsituationen des menschlichen Seins beschäftigt. Die Realität, der die Pinter'schen Figuren gegenüberstehen, wird problematisiert, indem sie als offenes System gezeigt wird, geheimnisvoll, unerklärbar. Die Sprache ist das Instrument für eine nie nachlassende Suche nach Wahrheit.

Ich habe mich sehr gefreut, daß Pinter den Nobelpreis bekommen hat. Wie erstaunt war ich dann, als ich das z. T. völlig unverständliche Echo in der Presse gelesen habe (z.B. SZ am 14.10.05). Da ist die Rede von 'merkwürdigen alten Pinter-Männern, die nach Mottenkiste muffeln.' Es heißt an anderer Stelle: 'Die Entscheidung für H.P. ist eine trostlose, sektiererische, anachronistische und, schlimmer noch: entsetzlich langweilige Wahl.' Und jemand, der im letzten Jahr selbst ganz unerwartet ins Rampenlicht geriet, schreibt: '... eine bizarre Wahl, ...abgesehen davon, daß er démodé ist.' Oder '...das ist eine Beleidigung der Weltliteratur'. Es gab allerdings auch viel Zustimmung, - Gott sei Dank! L.B.: 'Für mich wird von Pinter mehr bleiben als von Brecht!'

Aber hier geht es um die beeindruckende und ungeheuer mutige Rede, die Nobelvorlesung. Es geht um die Wahrheit und die verlogene Politik der USA nach dem zweiten Weltkrieg. Es geht um das, was wir, umgeben von unglaublichen 'Lügengespinsten' von dieser Realität 'wahr-nehmen' können, d. h. als 'wahr annehmen' können, bzw. 'hin-nehmen' müssen. Die Rede ist ein Appell an alle, die diese 'wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften' suchen, an unsere Entschlossenheit, sie zu finden und zu verteidigen, an unsere Verantwortung und die darin begründete Würde. Ich danke für die Veröffentlichung der Rede!"


Erika Dieling, München:

"Pinters Definition der Wahrheit in der Kunst und schließlich in der Politik sagt mit aller Deutlichkeit, wie die Verhältnisse sind, die wir im täglichen Leben erfahren.

Als ich in den Nachrichten die Meldung hörte, daß Harold Pinter den Nobelpreis für Literatur bekommen hat, da hörte ich auch von der Begeisterung vieler Schriftsteller und ihrem Urteil: Er hat den Nobelpreis verdient. Es folgte noch der Hinweis, daß Harold Pinter wegen seiner schweren Krankheit nicht nach Stockholm reisen kann, um den Preis in Empfang zu nehmen, aber seine Rede schriftlich vorlegen wird. Kurz darauf ein Kommentar, daß Harold Pinter in seiner Rede fordert, Bush und Blair wegen des Angriffskrieges im Irak vor den Internationalen Gerichtshof zu stellen. Ich dachte mir: Genau, er hat so recht, da gehören die auch hin. Aber schon folgte im Radio wieder eine kurze Anmerkung: Die Schriftsteller-Kollegen wären einmütig der Meinung, so etwas was Pinter fordert, 'so etwas tut man nicht'! Namen dieser Schriftsteller wurden nicht genannt, allerdings habe ich auch von keinem erfahren, der sich auf die Seite Pinters gestellt hätte. Das empfinde ich als Heuchelei! Auch unter Schriftstellern dieselben Feiglinge wie in der Politik.

Ich für meinen Teil empfand diese Rede Harold Pinters als ausgesprochen mutig. Er hat diese Nobelpreis-Verleihung; zum Anlaß genommen, der Welt zu zeigen, mit welchen brutalen Mitteln die amerikanische Politik die Weltherrschaft anstrebt. Aus den Medien hat man die wahren Zustände wie z.B. über Nicaragua nie erfahren. Harold Pinters Aufzählung über die von den Vereinigten Staaten von Amerika verübten Verbrechen ist grauenhaft; dabei müßte noch dazu gehören die Abwürfe der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki und der Krieg in Vietnam, wo immer noch als Folge dieses verbrecherischen Krieges verstümmelte und behinderte Kinder geboren werden.

Und er hat so recht, wenn er sagt, daß all die Schrecken, die Not und das Elend, die Amerika diesen Ländern zugefügt hat, nie gesühnt und nie verziehen werden können.

Ich habe mal gelesen, daß der damalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger wegen des Krieges in Chile als Kriegsverbrecher bezeichnet werden kann, ohne, daß derjenige der ihn anklagt, mit gerichtlicher Strafe rechnen muß. Dieser Politiker steht nach wie vor in hohem Ansehen.

Ich bin Harold Pinter dankbar für seine offenen und klaren Worte. Ich danke ihm für seinen Mut, daß er die Wahrheit über die Vernichtungspolitik der amerikanischen Regierung durch diese einzigartige Rede an das Nobel-Preis-Komitee gerichtet hat.

Das Gefühl der Ohnmacht, gegen diese Art von Demokratie machtlos zu sein, nichts ausrichten zu können, macht Angst, unheimlich viel Angst. Die einzige Möglichkeit, dagegen anzugehen, sehe ich allein in der Tatsache, Politiker zu wählen, die nicht amerikahörig sind und den Interessen Deutschlands und Europas dienen. Aber davon gibt es leider viel zu wenig."


Gerhard Zwerenz, Ingrid Zwerenz, 61639 Schmitten:

"Die Nobelpreisrede Pinters ist nicht hoch genug zu schätzen in ihrer poetischen Kraft und politischen Welt-Energie. Daß sie in deutsch-bourgeoisen Intellektuellenkreisen viel Ablehnung erfuhr, erstaunt nicht. Die Aufklärung hatte stets Mühe, die waffenstarrenden Grenzen von Dummheit und Bosheit zu überwinden. Der deutsche Riese braucht Zeit, sein mattes Gehirn zu aktivieren."


Dr. Werner H. Hopf, München:

"'Es umgibt uns ... ein weit verzweigtes Lügengespinst', schreibt Harold Pinter in seiner Literaturnobelpreisrede. Dazu gehört auch die Süddeutschen Zeitung, die die Literaturnobelpreisrede nicht abdruckte. Am gleichen Tag, als im Feuilleton der SZ Harold Pinters Nobelpreisrede von Herrn Ijoma Mangold kommentiert wurde, rief ich ihn an und fragte, wann der Originaltext in der SZ erschiene. Dazu hätte die SZ 'nicht den Platz' und Sie können die Originalrede doch im Internet nachlesen, war seine Antwort. Auf meine Erwiderung hin, daß der Platz in der SZ doch vorhanden sei, wenn man wolle, denn die Nobelpreisrede von Frau Elfriede Jelinek sei 2004 auch in der SZ gedruckt worden, wiederholte er wieder sein Platzargument und meinte, es seien jetzt andere Themen relevanter. Mein Einwand, der wahre Grund sei doch, daß Harold Pinters Text die Wahrheit über die Politik der USA enthalte und dies der SZ zu heiß sei, beantwortete er mit mehrmaliger Verneinung. Die Veröffentlichung von Pinters Rede, in der er begründet, warum Bush und Blair Massenmörder und Kriegsverbrecher sind, würde das Lügennetz der veröffentlichten Meinung ein Stück aufreißen. Auch Frau Merkel, die ihre neue alte Freundschaft mit Herrn Bush jetzt verkünden darf, hat kein Interesse an dieser Wahrheit."


Renate Foltys, 37308 Heiligenstadt:

"Als ich die Nobelpreisrede von Harold Pinter gelesen und verdaut hatte, war mir völlig klar, warum die sogenannte freie Presse und die freien Medien davon keine Notiz nehmen. Und wenn doch, dann einäugig, engstirnig, geschichtsresistent und immer entgegen aktuellen Tatsachen. In diesen Blickwinkel paßt eben ein Mensch wie Harold Pinter nicht, der mit historischer Sachkenntnis, gepaart mit der sachlichen Wertung aktueller Ereignisse Stellung bezieht. Und diese Stellungnahme wird getragen von Rationalität, gepaart mit Emotionalität, in die sich auch ironische Momente einmischen.

Nach meiner Lesart spricht hier ein Mensch, dem solche Werte wie Humanität, Gerechtigkeit, Frieden, Völkerrecht noch etwas bedeuten und der allen menschenverachtenden Großmachtbestrebungen à la USA eine klare Absage erteilt.

Ich wünschte mir, es gäbe mehr solcher Menschen, damit sich das 'Deutschland über alles, über alles in der Welt' nicht wiederholt mit 'Amerika, Amerika über alles in der Welt ...'. Die Gefahr dafür besteht. Auch deshalb ist die Rede von Harold Pinter so wichtig."


Regine Marquardt, Stuttgart:

"Ich hatte etwas Probleme mit der Nobelpreisrede, weil Harold Pinter nie zu meinen Lieblingsautoren zählte. Seine sehr pessimistische Welt in den Dramen, die an Becketts und Ionescos Werke anknüpfen und die Kritik an der Welt so überzeichnen, daß die Charaktere fast nur negativ dargestellt und verschüttete Träume und Wünsche der Handelnden kaum noch spürbar werden, lassen wenig Raum für Hoffnung. So habe ich sie jedenfalls in Erinnerung.

Er selbst wollte seine Werke nie erklären, verständlicher Weise.
In seiner Nobelpreisrede hat er Abstand genommen von aller Verrätselung der Welt und klar Stellung bezogen. Es geht ihm um die Wahrheit. Ähnlich wie dies schon Michael Moore in seinem Film tat, greift er die imperialistische Politik der Amerikaner an und sieht deren absolute Machtpolitik in den letzten Jahrzehnten in verheerender Weise am Werk. Es geht ihm darum, die Wahrheit zu sagen und nicht mehr die Welt  in allen möglichen Facetten zu zeigen. Angesichts dieser Welt des Machtwahns könnte man wieder mutlos werden.

Die Presse hat eigentlich fast gar nicht auf diese Rede Bezug genommen, sie wurde totgeschwiegen. Das hat Pinter nicht verdient.
Der Industrielle Alfred Nobel hat in seinem Testament für den nach ihm benannten Preis vom Werk eines Autors verlangt, der Preis solle einer Person verliehen werden, "die auf dem Gebiet der Literatur die herausragendste Arbeit mit idealistischer Tendenz hervorgebracht hat". Diese etwas rätselhaften Worte von Nobel haben mir sehr zu denken gegeben. In diesem Sinn ist Harold Pinter mit seinem Werk und seiner Rede für mich ein "gekränkter Idealist", der die amerikanische Außenpolitik vor dem Hintergrund einer gedachten positiveren Welt bloßstellt, weil er noch an andere mögliche Verhältnisse glaubt. Der Ex-Nobelpreis-Juror Knut Ahnlund, der aus Protest gegen die letzten beiden Preisträger, insbesondere auch Elfriede Jelinek, aus dem Gremium austrat, hat denn auch beide Autoren als Kommunisten bezeichnet. Das ist wohl symptomatisch: Da werden zwei Autoren in alter Kalter-Kriegs-Manier mit dem Vorwurf des Kommunismus unglaubwürdig gemacht als die ewig Gestrigen, weil sie ihre Hoffnungen auf Veränderung dieser Welt nicht aufgeben wollen."


Anmerkung der Redaktion:
Eine internationale Gruppe von Schriftstellern hat, wie die Peter-Weiss-Stiftung in Berlin mitteilt, den 20. März (Tag des Einmarsches der US-Armee in den Irak) zum »Tag der politischen Lüge« ausgerufen. Harold Pinter gehört zu den Erstunterzeichnern.


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