Theaterkritik Jaap Achterberg »Die Pest«

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Theaterkritik des Theaterstücks »Die Pest« im Theater "La Vouta", Lavin GR (Schweiz)

Starker Auftritt von Jaap Achterberg

Mit einer hervorragenden schauspielerischen Leistung faszinierte Jaap Achterberg am vergangenen Samstag bereits zum dritten Mal das Engadiner Publikum. Vor ausverkauften Plätzen vermochte er die Zuschauer in einer 80minütigen Parforce-Leistung zu fesseln. Volle Konzentration wurde gefordert, nicht nur vom Schauspieler, sondern auch vom Publikum. Camus' »Die Pest« ist ansteckend.

rb. Die Bedrohung ist spürbar, obwohl die Vorboten der Pest, die Ratten, nirgends auf der Bühne zu sehen sind. Aber sie sind präsent durch den atmosphärisch dichten Text und die Intensität des Spiels von Jaap Achterberg. Der Schauspieler weist sich in »Die Pest« ein weiteres Mal als Spezialist von Solostücken aus und zeichnet die verschiedenen Figuren mit minimalen Gesten. Oft genügt ihm eine fast unmerkliche Kopfbewegung, um den Dialog von einer Figur auf die andere zu lenken und er wechselt mit wenigen Requisiten wie Brille, Schal oder Hut und Besen Personen und Orte. Der chronikartige Bericht stößt dank der ruhigen, ausgewogenen und intensiv gelebten Darstellung von Achterberg in eine große Tiefe vor. Dabei baut er nach und nach durch das bewußte Setzen von Emotionalität eine dramatische Spannung auf. Unterstützt wird der Schauspieler durch den effektvollen Einsatz des Lichtes (Nicola Vitali). Die Lichteffekte werden auch wiederum genutzt, um die Szenen- und Stimmungswechsel zu verdeutlichen. Eine großartige Leistung, die den Zuschauer das Grauen körperlich fühlen ließ.

Chronik des Unheils

Über die Ereignisse in der nordafrikanischen Stadt Oran berichtet der Chronist und Arzt Dr. Rieux, der als erster die Vorzeichen richtig deutet und in der Folge unermüdlich gegen die Seuche ankämpft. Obwohl er die Sinnlosigkeit seines Tuns schon lange akzeptiert hat, kämpft er im Namen der Humanität weiter. An seiner moralischen Meßlatte richtet Camus die anderen Figuren aus. Da ist zum Beispiel Cottard, der zunächst Nutznießer der Situation ist, weil die Pest ihn vor einer Anklage schützt. Der Journalist Rambert wird von der Seuche überrascht. Seine Versuche zu fliehen scheitern. Doch aus dem Egoisten wird ein helfender Altruist, der sich der freiwilligen Hilfstrupps anschließt. Und da ist Tarrou, ein resignierter Individualist, der Rieux zur Seite steht und bis zu seinem tragischen Tod gegen das Leiden ankämpft. Besonders gut gezeichnet sind die beiden Figuren des Beamten Grand, der im Schreiben das Vergessen sucht und immer noch an seinem ersten Romansatz feilt, aber auch die Figur des fanatischen Paters Paneloux erhält ein starkes Gewicht.

Der Stoff erweist sich heute noch als ergreifender Bericht. Und was vor fünfzig Jahren Metapher für Faschismus, für die Bedrohung durch Atombomben gedeutet werden konnte, das hat bis heute seine allgemeine Sprengkraft nicht eingebüßt. "Das ist aktueller denn je. Verantwortung kann man heute genausowenig delegieren wie damals: Krieg, Hunger, Seuchen, natürlich auch Aids - lassen wir all die bedrohten und ausgestoßenen Menschen hängen? Diesen Fragen entgehen wir nie. Da gibt es kein Entrinnen." Camus läßt Dr. Rieux am Ende des Stückes sagen: "Aber was heißt das schon, die Pest? Es ist das Leben, sonst nichts"

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