Künstlergespräch

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Künstlergespräch mit Detlef Willand
am 5. Oktober 1997 im Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität
Diskussionsleitung: Joyce Saß-Burke


Detlef Willand – Einführung: Das Einhorn jagen


Vor diesem Gespräch sind wir in einer Ausstellung von Paula Modersohn-Becker gewesen. Und da ist mir wieder aufgefallen, wie schwierig das Wort Kunst ist, das Wort Künstler, Künstler sein. In den letzten Jahren ist mir immer mehr bewußt geworden, daß ich eigentlich nicht mehr Künstler sein möchte. Ich bin so stark verwirrt, was Kunst in unserer Zeit heute bedeutet, daß es mir lieber wäre, ich dürfte mich nach meinem Metier Holzschneider nennen. Mich Künstler zu nennen, das macht mir zunehmend Schwierigkeiten. Natürlich ist es im traditionellen Sinn ein künstlerischer Beruf, den ich da habe, aber das, was heute sich zeigt, ist so stark verwirrend, daß ich nicht in der Lage bin, darauf Antwort zu geben – weder in meiner Arbeit noch hier und jetzt. Wenn Sie also gekommen sind, um mich in diese Richtung zu befragen, dann kann ich Ihnen keine Antwort geben. Wir können nur versuchen, uns selbst eine Antwort zu erarbeiten.

Ich habe einmal eine Einführungsrede zu einer Ausstellung gehalten und gesagt, ich bin ein Einhornjäger. Damit wollte ich sagen, daß eines meiner Lieblingsmotive, das mich immer wieder berührt und mir immer wieder begegnet, das Einhorn ist, und daß ich das Einhorn jage. Was bedeutet das? Das Einhorn jagen bedeutet nicht, daß ich das Einhorn killen will und dann sein Horn an die Wand hänge, um zu sagen: Das habe ich geschossen, und den Braten zum Sonntagmahle mache. Die Jagd ist das Tun des Jagens, und Jagen hat immer etwas mit Aufmerksamkeit zu tun und damit, die Augen aufzumachen und wach zu sein. Das ist das Jagen. Das Einhorn kann man wahrscheinlich gar nicht jagen. Man kann es nur versuchen, man kann ein Einhornjäger sein. Aber man kann kein erfolgreicher Einhornjäger sein. Und gerade dieses Nicht-erfolgreich-sein macht gerade in einer Zeit wie unserer, die sehr auf Erfolg gepolt ist, große Probleme. Ein Künstler, ein Holzschneider ist natürlich auch mit allen anderen Menschen vernetzt; und da Erfolg ein Kriterium unserer Zeit ist, ist es sehr schwer, sich auf einen Weg zu begeben, der nicht unbedingt von Erfolg gekrönt ist, also weder von finanziellem noch von bestimmten Ehren, wie zum Beispiel einem Professorentitel. Für ihn heißt es eigentlich, die meiste Zeit seines Daseins zuhause in der Werkstatt zu sitzen, auf den Berg zu gehen und zu zeichnen und wieder in die Werkstatt zu gehen und das mit einer gewissen Sturheit. Das heißt morgens in die Werkstatt gehen und nicht erst mittags, dann zum Mittagessen gehen, danach wieder in die Werkstatt und das lange Zeit. Das heißt: dranbleiben, ohne daß ein Feedback kommt und man die Hoffnung hegen kann, man könnte auch mal in diesem Kunstbau-Tunnel ausstellen. Ich will damit nicht sagen, daß das hier nicht toll ist …

Sie verstehen vielleicht, was ich meine: Hier zu hängen, hat etwas Intimes und ist vielleicht das, was ich wirklich will. Dort zu hängen, das ist die Ehre, die Anerkennung, das ist vielleicht das, was ein Holzschneider als Höchstes erreichen kann, indem das, was er sagt, wirklich gehört wird. Denn ein Künstler ist ja kein Eremit – obwohl ja das auch eine ganz verwandte Seite von ihm ist, die ich mal die esoterische nennen will im Unterschied zur exoterischen. Das Esoterische, das wäre der Mönch, der Eremit, der irgendwo sitzt und kontemplativ nach innen geht. Die andere Seite des Künstlers, das ist sein Beruf, mit dem er nach außen geht, weil er etwas zu sagen hat. Er muß etwas sagen. Künstler wird man nämlich nicht freiwillig, das ist kein angenehmer Beruf, das muß ich Ihnen schon sagen. Das ist kein Beruf, der "Fun" macht, sondern im Grund genommen ist es ein Leidensweg. Wenn Sie die Biographien von Künstlern lesen, dann werden Sie immer wieder hören, daß viele Künstler gesundheitliche Probleme hatten – sie haben halt mehr geächzt als die normalen Menschen.

Damit will ich also in kurzen Worten sagen: daß ich als Holzschneider einen sehr einsamen Weg gehe, einen Einzelgängerweg, der auch oft mißverstanden wird, weil er dem modischen Trend nicht nachgibt, der oft als altmodisch mißverstanden wird, weil ich naturalistische Darstellungen mache. Ich weiß auch, daß pauschale Ablehnungen nicht sinnvoll sind, zum Beispiel die Moderne abzulehnen. Es gibt hervorragende abstrakte Künstler. Es gibt in jeder künstlerischen Form ganz hervorragende Leute. Es gibt in jeder Kunstrichtung ganz ausgezeichnete Schwindler. Sie müssen nicht denken, wenn einer ein abstraktes Bild malt, daß er dann modern ist und nicht kitschig sein könnte. Es gibt furchtbar kitschige abstrakte Bilder. Es fehlen uns einfach – weil die Zeit so verwirrend ist – die Kriterien zu erkennen, was gut ist und was schlecht. Sie fehlen uns, weil wir die Dinge häufig nur mit dem Verstand betrachten. Unten in der Magengrube wissen wir meistens bescheid. Da guckt uns ein Bild an und reizt uns einfach. Vielleicht ist es besser, diesem Gefühl, dem ganz spontanen ersten Eindruck nachzugeben.

Ich möchte noch mal auf das Einhorn zurückkommen. Das Einhorn ist für mich ein Symbol für das Nicht-Zwei-Sein oder für das Nicht-Polare. Für etwas, was wir mit unserem Kopf nicht machen können. Wir müssen immer in Gegensätzen denken: Wir müssen süß kennen, um zu wissen, was nicht süß ist, das Salzige. Wir müssen also von allem immer das Gegenteil kennen. Wenn wir das nicht haben, kennen wir uns hier in der Welt nicht mehr aus. Die Zweiheit, das Duale, das ist unsere normale Welt. Das verhindert, daß wir das Ganze sehen können, weil wir nämlich immer nur eine Seite des Ganzen sehen. Das Einhorn ist für mich ein Symbol der wirklichen, nämlich der ganzen Welt. Die Ganzheit können wir erleben: in einem Zustand, der ohne Raum und ohne Zeit ist. Alles was in der Raum-Zeit-Koordinate ist, ist durch die Zweiheit bestimmt. Die Zeit durch Vergangenheit und Zukunft, der Raum durch die Dimensionen. Das Einhorn ist der Punkt des Jetzt. Der Punkt des Jetzt ist der einzige Moment, der ununterbrochen da ist. Sie erleben ihn jeden Moment und trotzdem können Sie ihn nicht festhalten. Wenn wir versuchen ihn festzuhalten, dann ist er schon weg. Er ist sofort Vergangenheit. Dieser Punkt, die Gegenwart, der Moment – das ist das Einhorn. Aber wenn wir ganz aufmerksam sind, dann können wir uns nicht mehr spiegeln, dann können wir nicht mehr überlegen: Wie war ich gestern? Morgen will auch wieder so gut sein! Aber wenn wir ganz fasziniert sind, dann sind wir im Hier und Jetzt. Dann vergessen wir die Zeit und überhaupt alles um uns herum. Das ist ein Zustand, den die meisten Menschen als ausgesprochen positiv erleben. Kinder können das meist noch besser als Erwachsene. Wenn Kinder spielen, dann können sie vollkommen vergessen, daß es regnet oder daß sie nach Hause müssen. Das können Erwachsene nur noch selten. Manchmal kommt es vor, daß etwas sie total mitnimmt, dann sind sie zugleich das Einhorn und der Einhornjäger – das ist die Jagd auf das Einhorn. Wenn der Mensch diese Dinge so erlebt, dann kommt er in einen Zustand, der für ihn sehr wichtig ist. Dann kann er nicht mehr berechnend sein. In dem Moment ist er ganz offen, ganz ehrlich, und kann auch die Schönheit der Welt erleben. Je älter ich werde, desto mehr traue ich mich zu sagen: Wir sind nicht auf der Welt, um Generaldirektor zu werden oder um eine Riesenbank zu gründen, sondern eigentlich sind wir das Bewußtsein der Welt, und das heißt, daß wir die Welt sehen sollen. Sicher, wir müssen arbeiten, um zu leben, wir müssen Straßen bauen und vielleicht auch Flugzeuge, ich weiß nicht so genau, aber ganz sicher müssen wir Kartoffeln anbauen. Das ist alles ganz in Ordnung, aber das ist nicht das Primäre sondern das Sekundäre. Das Primäre ist die Welt zu sehen, nur sie zu sehen, bewußt zu sehen. Und die Welt ist wunderschön. Die Aufgabe des Künstlers ist, meiner Meinung nach, nichts anderes, als den Menschen einen Stups zu geben und zu sagen: Guck die Welt an! Sie ist schön. Und wenn heute Künstler kommen und sagen: Schönheit ist Blödsinn, das ist alles vorbei, wir müssen alle sozialkritisch sein, wir müssen die Spießbürger erschrecken – die lassen sich heute überhaupt nicht mehr erschrecken, die sind alles gewöhnt. Schon vor 40 Jahren, als ich in München war, wollten sie schon die Spießbürger erschrecken, das ist nichts Neues mehr. Aber zu sagen: Guck die Welt an, sie ist schön! – das hört man nicht häufig. Weil viele Leute Angst davor haben, denn da steckt Mut zum Gefühl drin. Ich denke, daß in den Dingen ein Geist sitzt – vielleicht ist es der Geist vom Einhorn, vielleicht ist es auch ein Engel – ein Wesen, das wir wissenschaftlich nicht erfassen können; ich sagte ja schon warum. Mit unserer Art, den Engel fangen zu wollen, geht das nicht. Wir können nur den Moment erspüren. Wir können aber dem anderen nicht sagen: So war er.

Aber einer hat es doch mal sehr schön gesagt, daß es dieses Geistwesen gibt. Sie werden vielleicht nicht erraten, wer es war, es war nämlich ein Wissenschaftler, Max Planck. Ich werde Ihnen vorlesen, was er gesagt hat:

"Als Physiker, also als Mann, der sein ganzes Leben lang der nüchternsten Wissenschaft, der Erforschung der Materie diente, bin ich sicher frei davon, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden. Und so sage ich Ihnen nach meiner Erforschung des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eigene Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Atoms zusammenballt. So müssen wir hinter dieser Kraft einen bewußten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche, sondern der unsichtbare, der unsterbliche Geist ist das Wahre. Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen gehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen."

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