Kurt Flasch
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Absage der Veranstaltung am Do. 21. Juni 2012
Liebe Freunde des AL-Kulturzentrums,
leider müssen wir den Vortragstermin mit Prof. Kurt Flasch kurzfristig absagen, da der Referent aus Krankheitsgründen verhindert ist. Wir bitten um Entschuldigung und wünschen dem verehrten Professor gute Besserung.
Wenn wir einen neuen Termin für diese Veranstaltung bekommen, erhalten Sie selbstverständlich eine Nachricht von uns.
Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität e.V.
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Do. 21. Juni 2012
20.00 Uhr |
Prof. Kurt Flasch (Mainz)
spricht über
Religion und Gesellschaft
Vortrag und Diskussion
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"In Dortmund", sagt der frühere Bundesligatrainer Ottmar Hitzfeld, "ist Fußball Religion. Die Fans pilgern ins Stadion wie in die Kirche." Es gibt also im sportlichen Verständnis bereits seit langem einen christlichen "Fußballgott" und ebenso einen christlichen "Wettergott" Petrus. Wenn Fußball Religion ist, was ist dann Religion? Für die Bundeskanzlerin ist das offensichtlich ganz selbstverständlich; denn sie behauptet ja, mit ihrer Politik die christlichen Grundwerte des Abendlandes zu verteidigen. Tatsächlich gibt es inzwischen eine christliche Glaubensoffensive, die mit stimmungsvollen Gottesdiensten bei allen Gelegenheiten zu einem "Leben mit Gott" aufruft.
Aber nicht nur bei Open-Air-Gottesdiensten, die gut organisiert werden und mit der Zeit gehen, wird offensiv an religiöse Gefühle appelliert, auch zahlreiche zeitgenössische Philosophen stimmen ein in den Ruf nach Religion. In den letzten Jahren gibt es eine Reihe von philosophischen Versuchen, eine religionsnahe Philosophie zu entwickeln ausgehend von Ludwig Wittgenstein , vor allem im "Konzept Gott" und in der Möglichkeit, eine Sprache der Religion zu rechtfertigen. Über diese Versuche berichtet Kurt Flasch kritisch.
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Do. 17. Juni 2010
20.00 Uhr |
"Ohne Liebe ist alles sinnlos"
Prof. Kurt Flasch (Mainz)
spricht über Dantes weltberühmte
»Göttliche Komödie«
(Purgatorium und Paradies)
Vortrag mit Lesung
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Prof. Kurt Flasch, "gelernter Philosophiehistoriker mit Hang zur Dichtung", setzt seine Einführung in Dantes »Göttliche Komödie« mit einem Abend über das irdische und das himmlische Paradies fort. Wie immer geht es dabei darum, die Strukturen der Aufklärung herauszuarbeiten, die in diesem Hauptwerk des großen italienischen Dichters verborgen und doch zum Greifen nah sind: Im Gewande der christlichen Theologie erscheint die Götterwelt der griechischen Antike, wie sie bei Platon systematisiert worden ist. Wir lernen bei Flasch, daß die platonische Liebe, sozusagen, göttlichen Ursprungs ist. Der "Professore" hat zum Nachweis dieser These eine eigene Übersetzung in Prosa vorgenommen, die von Mira Maase vorgetragen und von ihm erläutert werden wird.
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Empyrion, Illustration aus Dante Alighieris Göttlicher
Komödie, von Gustave Doré
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Aus der Einführung von Mira Maase
Warum Dante lesen? Kurt Flasch hat darauf einmal die Antwort gegeben: "Die großen Dichter sollte man immer wieder lesen - nicht als lebten wir in ihrer Welt, aber sie zeigen doch, wie sie ihre Welt aufgearbeitet haben, und wie wir es auch könnten in kleinem Maßstab." Vor anderthalb Jahren haben wir seine großartige Einführung in den ersten Teil der Danteschen »Divina Commedia« gehört - das Inferno. Wir haben dabei verstanden, daß Dante Dichter der irdischen Welt gewesen ist, der durchaus gesellschaftspolitische und nicht theologische Gründe hatte, dieses Buch zu schreiben. Er hat es allerdings als Dichter geschrieben und nicht als Soziologe oder Sachbuchautor, der uns über seine längst versunkene Zeit berichten wollte. Als Sachbuch hätte es nicht überlebt - als Dichtung schon. Das gilt natürlich auch für den zweiten Teil der Göttlichen Komödie, das Purgatorium, und für den dritten und letzten Teil, das Paradiso. Immer aber geht es dabei um Liebe, von der in der Literatur so viel die Rede ist, als wüßten sie, was das ist: Liebe. Dante hat eine überaus hohe und geradezu himmlische Auffassung davon und macht ihr Fehlen in der irdischen Welt geradezu zum Charakteristikum der Hölle. Dabei ist für Dante unter Berufung auf die beiden heidnischen Philosophen Platon und Aristoteles Liebe gerade das, was das ganze Universum in Gang hält: "Die Liebe, die umschwinget Sonn' und Sterne." Wir können uns also heute auf einiges gefaßt machen, was wir in puncto Liebe zu lernen haben, ohne die alles sinnlos ist. Unser emeritierter Professor aus Mainz hat sich wieder einiges vorgenommen.
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Fotos: © Peter Worm
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Do. 27. November 2008
20.00 Uhr |
Ein Aufenthalt in der Hölle
Prof. Kurt Flasch (Mainz)
spricht über Dantes weltberühmte
»Göttliche Komödie«
Vortrag mit Lesung
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Kurt Flasch gibt eine Einführung in die »Göttliche Komödie« von Dante. Er konzentriert sich auf den ersten Teil, die Hölle, und wird insbesondere folgende drei Gesänge - in eigener Übersetzung - zum Vortrag bringen: Fünfter Gesang: Francesca da Rimini; Sechsundzwanzigster Gesang: Odysseus; Dreiunddreißigster Gesang: Graf Ugolino. Diese drei Gesänge sollen einführen in den Aufbau und die Sprache der »Commedia«. In der Hölle trifft man die interessanteren Leute, sagt Kurt Flasch, und wir dürfen gespannt sein, wie das gemeint ist.
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Aus der Einführung von Mira Maase:
Zu Beginn des Abends ein kurzes Zitat vom Professore Kurt Flasch über sein Verhältnis zu Italien im allgemeinen und zu Dante im besonderen: "Ich brauche ein Bein in Italien. Mein Bein in Italien, das ist das intensive Anschauen von Landschaften und Kunstwerken; es ist die Musik der italienischen Sprache. Ich suche auch heute noch, durch intensive Arbeit die italienische Kunst und Literatur kennenzulernen; ich ahme die italienische Sprache und Küche nach. Die angegrauten Jüngelchen der Toskanafraktion tragen italienische Krawatten und kaufen Häuser in der Toskana; Dante lesen sie nicht."
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Wer aber war Dante Alighieri? In den Büchern steht sein Name als ein Dichter, der Weltliteratur geschrieben hat und der in den Jahrhunderten nach seiner Lebenszeit (1265-1321) zu vielfältigen und größtenteils mystifizierenden Deutungen Anlaß gegeben hat, die ein Kurt Flasch schon vor fünf Jahren mit der Feststellung, Dante war der Dichter der irdischen Welt, vom Tisch fegte. Dichter der irdischen Welt und nicht Theologe, wie uns manche christliche Interpretation glauben machen will. Kurt Flasch kann sich dabei auf Boccaccio berufen, der über den angeblichen Mythologen des christlichen Weltbilds schrieb:
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Wir dürfen nicht glauben,
man finde und erfasse die Philosophie
immer nur auf Lehrstühlen,
immer nur an Hochschulen,
immer nur in akademischen Streitgesprächen.
Sehr oft findet man sie
in der Brust von Männern und Frauen.
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Nicht nur Dichter also, sondern auch Philosoph!
Daß aber Dantes Hauptwerk, die »Divina Commedia«, aus einem von Politik erfüllten Leben heraus geschrieben worden ist, das wissen wir Heutigen am allerwenigsten. Ohne unserem heutigen gelehrten Referenten, der darüber natürlich sehr viel mehr weiß als ich, vorgreifen zu wollen, seien doch ein paar Daten benannt, die zum tieferen Verständnis der politischen Hintergründe der Entstehungsgeschichte der »Commedia« beitragen können:
Dante war Politiker. Am Ende des 13. Jahrhunderts wurde seine Heimatstadt Florenz von einer Art bürgerlicher Volkskammer regiert, in die er sich als Adeliger aufnehmen ließ, indem er sich in die Zunft der Ärzte und Apotheker einschreiben ließ. Als solcher diente er seiner Stadt u.a. im Rat des Bürgermeisters und als Gesandter und ergriff im Familienstreit, der die innenpolitischen Verhältnisse in Florenz um 1300 beherrschte, eindeutig Partei. Die Gegenpartei hatte den Papst Bonifatius VIII. zum Eingreifen bewogen, der schon seit seiner Krönung den Plan verfolgte, die gesamte Toskana zu einem Lehen der Kirche zu machen. Die Dante-Partei wollte dagegen die politische Unabhängigkeit wahren. Im Auftrag dieses Papstes rückte der Feldherr Karl von Valois mit seinen Truppen in Florenz ein, und die Dante-Partei, genannt die Weißen, wurde als Papstgegner und Feinde der katholischen Kirche vor Gericht gestellt. Denn Papst Bonifatius VIII vertrat einen totalitären Weltherrschaftsgedanken, indem er eine Zwei-Schwerter-Doktrin aufstellte: Das geistliche Schwert werde von der Kirche geführt, das weltliche müsse für die Kirche verwendet werden. Die Kirche übertrage das weltliche Schwert den Fürsten unter der Voraussetzung, daß sie es "auf den Wink und die Zulassung des Priesters" führten. Wer sich der geistlichen Gewalt widersetze, widersetze sich der Anordnung Gottes. Demnach sei es für alle Menschen heilsnotwendig, dem römischen Bischof untertan zu sein.
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Dante gelang es zu fliehen. In Abwesenheit wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, für zwei Jahre in die Verbannung geschickt und durfte kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Als Dante weder antwortete noch zahlte, wurde er kurz darauf zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt; sollte er es aber wagen und in die Stadt zurückkehren, so werde er dem Feuertod überantwortet werden.
Dante zog es vor, ins Exil zu gehen. Fast 20 Jahre bis zu seinem Tod hat Dante ein Wanderleben als politischer Flüchtling führen müssen. Seine Vaterstadt Florenz hat er nie wieder betreten dürfen. Als einmal lange nach dem Tod von Bonifatius VIII eine allgemeine Amnestie erlassen wird, zu.allerdings demütigenden Bedingungen, schreibt Dante an einen Freund in Florenz einen bewegenden Brief, in dem es heißt:
"Ist das der begnadigende Widerruf, womit ein Dante Alighieri in die Heimat zurückgeholt werden soll, nachdem er beinahe fünfzehn Jahre die Verbannung ertragen hat? Hat das seine Unschuld verdient, die allen offenbar ist? Das die fortgesetzte mühevolle Beschäftigung mit den Studien? Ferne sei einem Manne, der mit der Philosophie vertraut ist, eine solch törichte Demütigung des Herzens, daß er wie irgendein Cioli oder andere schmähliche Gesellen sich gleichsam gefesselt vorführen lasse! Ferne sei es einem Manne, der die Gerechtigkeit predigt, daß er nach der Erduldung des Unrechts denen, die ihm das Unrecht zufügen, wie verdienten Männern sein Geld hinzahle! Mein väterlicher Freund, das ist nicht der Weg zur Rückkehr in die Vaterstadt. Doch wenn von Euch jetzt oder von anderen später ein Weg gefunden wird, der dem Ruhm und der Ehre eines Dante keinen Abbruch tut, so will ich ihn mit schnellen Schritten annehmen. Kann aber durch keinen solchen Weg Florenz wieder betreten werden, so werde ich Florenz eben niemals wieder betreten. Was tut's auch? Kann ich nicht überall den Glanz der Sonne und der Sterne erblicken? Kann ich nicht unter jedem Himmel die süßesten Wahrheiten durchdenken, wenn ich mich wenigstens nicht zuvor vor den Augen des Volkes und der Stadt Florenz in Ehrlosigkeit und Schmach bringe? An Brot wird es mir wahrlich auch nicht fehlen."
Ein Politiker also, ein Philosoph und ein Dichter, von dem es bei Flasch zu Recht heißt: Er war der Dichter der realen Welt. Den Papst aber, dem er sein Exil zu verdanken hatte, hat er in die Dantesche Hölle verbannt.
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Fotos: © Peter Worm
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Do. 13. März 2008
20.00 Uhr |
"Der Weisheit letzter Schluß..."
Der Philosophieprofessor Kurt Flasch (Mainz)
spricht über eines seiner Lieblingsthemen:
Goethes Philosophie in Faust II
Lesung der Faust-Zitate: Mira Maase
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Goethes Faust II bleibt rätselhaft, kompliziert und wird wenig gelesen. Kurt Flasch versucht, einen Überblick zu geben und einige Rätselfragen zu lösen, die der klassische Text aufgibt: Es geht um die Möglichkeit der Rettung Faustens, der am Tod Gretchens schuld ist und mit dem Satan im Bund bleibt. Faust macht Erfahrungen mit der Welt der Politik, der Schönheit der Antike und den klassischen Grundlagen des freien Unternehmertums. Der Vortrag versucht, auf einige Schönheiten dieser Dichtung aufmerksam zu machen. Kurt Flasch sucht einen einfachen Weg in einer schwierigen Sache.
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Faust, Kaiser und Mephisto in einer modernen Darstellung des Galerie
Theaters in München. Regie: Ingmar Thilo, Foto © Hilda Lobinger
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Fotos: © Peter Worm
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Aus der Einführung von Mira Maase
Goethe hat den Fauststoff nicht erfunden, aber so bearbeitet, daß aus dem mittelalterlichen Schwarzmagier Dr. Faustus ein Sucher nach Erkenntnis wurde, wie er etwa am Anfang der Neuzeit als der Arzt und Philosoph Paracelsus in die Geschichte getreten ist.
In den zwei Jahrhunderten seit Erscheinen von Faust I hat es viele kluge und einander widersprechende Interpretationen und auch Aufführungen gegeben - man erinnere sich nur an die theatergeschichtlich sehr bedeutsame Aufführung von Gustaf Gründgens als Regisseur und Mephisto und Will Quadflieg als Faust. Faust II oder Der Tragöde zweiter Teil - wie es bei Goethe authentisch heißt - ist weniger gespielt und auch weniger klug und/oder bedeutungsvoll interpretiert worden. Noch weniger wird er gelesen. Er ist ein Buch für Kenner, wahre Liebhaber und Philosophen, denn er setzt einiges an Bildung und Wissen über die antike Philosophie und heidnische Religion voraus und läßt sogar Mephistopheles bekennen, daß er dafür eigentlich nicht zuständig sei, da seine Identität nun einmal die eines christlichen Teufels sei.
Goethe selbst hat 1831 an seinen Freund Zelter geschrieben: "Es ist keine Kleinigkeit, das, was man im zwanzigsten Jahr konzipiert hat, im 82. außer sich darzustellen und als solches inneres lebendiges Knochengeripp mit Sehnen, Fleisch und Oberhaut zu bekleiden, auch wohl dem fertig Hergestellten noch einige Mantelfalten umzuschlagen, damit alles zusammen ein offenbares Rätsel bleibe, die Menschen fort und fort ergetze und ihnen zu schaffen mache."
So erging es im Goethejahr 1949 auch dem damals 19 Jahre alten Abiturienten Kurt Flasch in seinem Abituraufsatz zum Thema "Wer ein Schicksal bewußt annimmt, erfährt seine wandelnde Kraft." Flasch, mehr als fünf Jahrzehnte später über seinen Besinnungsaufsatz von damals: "Es war ausdrücklich freigestellt, den Spruch anhand eigener Lebenserfahrung oder an einer literarischen Gestalt zu diskutieren. Nun hatte ich ja Schicksal genug erlebt; aber ich hätte nicht zu sagen gewußt, worin ich die Wohltat wandelnder Kraft an mir hätte fassen können. In der Schule von mir selbst zu reden, das habe ich nie ernsthaft erwogen. Dazu war sie mir zu unheimlich geblieben. Also eine literarische Gestalt. Das erlaubte mehr Abstand. Ich wählte: Faust II."
Das Thema ist ihm treu geblieben, so treu, daß man es tatsächlich als eines seiner Lieblingsthemen bezeichnen kann, auf das er immer wieder zurückkommt. Seiner Lebenszeit als Studienrat, Philosophieprofessor und schließlich emeritierter Philosophieprofessor ist die Problematik und die Gedankenwelt von Faust II eingeschrieben - eine moderne Fragestellung, die ihn ein Leben lang intellektuell begleitet hat. Wir freuen uns, an dieser Fragestellung heute ein wenig teilhaben zu können mit Lesung und Kommentar von Kurt Flasch.
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Kurt Flasch: Anmerkungen zu einigen Textstellen
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ARIEL:
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet, wo sie helfen kann;
Ob er heilig, ob er böse,
Jammert sie der Unglücksmann.
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FLASCH:
An diesen schönen letzten Satz möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung anknüpfen: Mit meinen Studenten habe ich nach den Vorlesungen und auch in vielen Nächten diskutiert und dabei beobachtet, daß die erste Stufe ihrer Reflexion moralisch war. Sie fangen an, etwas gut oder schlecht, moralisch oder unmoralisch zu finden. Die Schwierigkeit für mich in diesen freundschaftlichen Gesprächen war, hinauszuführen zu philosophischen Problemen, die nicht schon erledigt sind, wenn man ein moralisches Urteil - sei's gut, sei's schlecht - abgibt. Dieser letzte Vers leitet ja eine lange Folge von Szenen ein, in denen es Sie als Leser stören würde, wenn Sie auf einem moralischen Urteil beharren. Dann haben Sie die Lehre der Elfen nicht begriffen.
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MEPHISTO:
Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
Und fragt ihr mich, wer es zu Tage schafft:
Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
KANZLER:
Natur und Geist - so sprich man nicht zu Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten,
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
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FLASCH:
"Uns nicht so!" sagt mein Mainzer Erzbischof, das war damals der mächtigste Mann zu des Kaisers Zeiten. Wenn hier "Kanzler" steht, dann müssen Sie sich den Vorgänger von Kardinal Lehmann vorstellen. Das waren große, mächtige Fürsten. Denen wird von Goethe sehr unfreundlich eine harte Theologie unterstellt. Er spielt hier an auf den Prozeß gegen Giordano Bruno, von dem man behauptete, er habe Gott, Natur, Geist durcheinandergemischt, insofern sei er Atheist gewesen. Er ist damals, 1600, auf dem Campo de' Fiori verbrannt worden. Goethe wußte natürlich davon, er war gelernter Jurist und hat sich immer schon für Theologie, Kirchen- und Ketzergeschichte interessiert.
Zum Schluß des Faust II:
Nun geht es darum, ihn ins Grab zu bringen. Ich mag das alles nicht so ernst. Früher hat man das so hochstilisiert, ich meine dagegen, man soll das ein bißchen nach unten interpretieren. Und übrigens besteht das Weiterdenken über diesen Text darin, ganze Schichten abzutragen, die die Leute vor uns darübergelegt haben. Was die alles aus dem Faust gemacht haben! Sie haben ihn lange Zeit sehr verbessert, ihn als Inbegriff des deutschen Menschen gesehen, an dem die Welt genesen kann. Den Zusammenbruch, das Erblinden, das Scheitern, den Tod haben diese Früheren kleingesetzt und oft unterschätzt.
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FAUST:
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß!
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!
Zum Augenblicke dürft ich sagen:
›Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn.‹ -
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.
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FLASCH:
Und hier sinkt er in den Tod, er ist blind, hat die Welt nicht mehr angeschaut, und meint nun, er hat der Weisheit letzten Schluß. Die großen Interpretationsfragen betreffen diesen Schluß: Ist das "der Weisheit letzter Schluß" oder die äußerste Verblendung, daß er nicht mehr sieht, was er angerichtet hat?! Er sagt, er wolle "auf freiem Grund mit freiem Volke stehn" - und hat gerade drei Menschen umbringen lassen. Und schon vorher hieß es bei Baucis: "Menschenopfer mußten bluten."
Also, Sie sehen, das ist alles mehrdeutig. Wir haben das früher so lernen müssen: "Das ist der Weisheit letzter Schluß / Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben / Der täglich sie erobern muß!" Das klingt so nach FDP-Programm. Der Faust hat hier nach Goethes Ansicht nur herumgelabert und geschwafelt.
Nun kommt meine Lieblingsstelle:
Faust verwechselt Graben und Grab, er sinkt da hinein, jetzt kommen Engel, streuen Blüten und machen die Teufels verrückt, und das kommentiert Mephisto so:
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MEPHISTO:
O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
Satane stehen auf den Köpfen,
Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
und stürzen ärschlings in die Hölle.
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Ich finde dieses "ärschlings" so wunderschön an dieser so ernsthaften Stelle. Jeder ist ergriffen - und nun steht da aber "ärschlings".
Ich habe einmal von einem Theologen die Kritik bekommen, daß ich von heiligen Dingen nicht so ehrfürchtig spreche. Ich habe ihm zurückgeschrieben: "Von Goethe lernen heißt schreiben lernen!" Man muß eben die ganze Breite und Vielfalt der deutschen Sprache ausnutzen, so wie das Goethe im Faust II macht.
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CHORUS MYSTICUS:
Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wirds Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist es getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
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Do. 25. März 2004
20.00 Uhr |
Kurt Flasch (Mainz)
»Poesie nach der Pest«
Über Giovanni Boccaccios »Decameron«
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Auf Mallorca gibt es eine Neckermann Tanzbar namens "Boccaccio". Jeder dürfte diesen Namen also schon mal gehört haben. Aber wie steht es mit dem Namensträger? Und mit seinem Hauptwerk, dem »Decameron«? Kurt Flasch hat den alten Text neu übersetzt und dabei gründlich entstaubt. Seine Kommentare zu diesen Novellen aus dem 14. Jahrhundert, von einem Gelehrten geschrieben, lesen sich als alles andere als eine Gelehrtenprosa. Im Mittelpunkt steht die Liebe, doch werden alle großen Themen abgehandelt wie Religion, Schicksal, Krise und Tod: "Er will unterhalten und erfreuen, aber er will auch »raten« und »beweisen«; er zeigt, was das Leben ist und was es sein könnte, nicht erst im Paradies, sondern hier auf Erden, nicht mehr nur für Männer, nein, auch für Frauen."
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Foto: © Peter Worm
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Rezension |
"Ach, Griselda" - Kurt Flasch restauriert Boccaccios »Decameron«, von Hans-Herbert Räkel, SZ vom 24.2.2003
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Zeitungsartikel von Kurt Flasch |
"Die Natur kehrt in ihr Gleis zurück"
Neue Züricher Zeitung, 28./29.8.2004
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Do. 27. März 2003
20.00 Uhr |
Kurt Flasch (Mainz)
»Die geistige Mobilmachung 1914 und heute«
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Das Buch des Philosophen Kurt Flasch über die Kriegsreden deutscher Intellektueller ist im Jahre 2003 wieder hochaktuell. Seit dem Ersten Weltkrieg ist nämlich jeder Krieg ein heiliger Krieg. Ob es um Kaiser Wilhelm II. geht oder um George W. Bush es geht immer um Weltherrschaft.
Drei Problemkreise behandelt dieses Buch des Philosophen Flasch über die geistige Mobilmachung von 1914: Erstens die Verherrlichung des Militarismus als deutsche Mentalitätsgeschichte. Zweitens den Mechanismus der Gleichschaltung der öffentlichen Rede zum Zwecke der Kriegspropaganda. Drittens, daß der Weltkrieg in der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht vorkommt, sondern "verschämt" verschwiegen wird.
Kurt Flasch, der im Oktober 2001 mit dem renommierten Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet wurde, schlägt in seinem Vortrag den Bogen von 1914 zu heute getreu seiner Maxime, daß praktische Philosophie sich in die aktuellen gesellschaftlichen Probleme einmischen muß.
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Foto: © Peter Worm
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Rezension |
"Und ewig nagt der Zahn der Zeit"
Buchkritik zu »Philosophie hat Geschichte«, von Christian Geyer, FAZ vom 1.9.2003
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Biographie |
Kurt Flasch
1930 in Mainz geboren,
studierte von 1950 bis 1957 Philosophie, Geschichte, Klassische Philologie und Germanistik in Frankfurt am Main.
1956 wurde er von Johannes Hirschberger und Max Horkheimer zum Dr. phil. promoviert. Nach der Habilitation (1969) nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Mittelalterlichen Philosophie der Ruhr-Universität Bochum an. Spätere ehrenvolle Rufe auf Lehrstühle für Philosophie der Universitäten Wien (1972), Freiburg im Breisgau (1973) und erneut Wien (1983) hat er abgelehnt. Gastvorträge und -vorlesungen hielt er an der Sorbonne (Paris), Scuola Normale Superiore (Pisa) und Ecole des Hautes Etudes (Paris).
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Beliebt waren stets seine anregenden Vorlesungen und Seminare zur Philosophie der Antike, des Mittelalters und der Renaissance, die vor Witz und Esprit sprühen. Zu diesen Hauptarbeitsgebieten hat er auch Veröffentlichungen vorgelegt, so u.a. »Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues« (1973), »Augustin. Eine Einführung in sein Denken« (1980), »Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli« (1986), »Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277« (1989). Er hat »Giovanni Boccaccio, Poesie nach der Pest. Der Anfang des Decameron« (it.-dt. Ausgabe) neu übersetzt und erklärt (1992).
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1993 wurde Kurt Flasch eine besondere Anerkennung in seiner Ernennung zum "Luchs" zuteil: Er wurde Mitglied der Accademia Nazionale dei Lincei (Die Luchse, Rom), der ältesten noch bestehenden Akademie der Welt, der auch Galileio Galilei angehört hat. Sie wurde 1603 gegründet und war das Vorbild der Gründung der Academie Francaise durch Richelieu (1635). Die deutschen Akademien sind alle späteren Ursprungs: Berlin, durch Leibnitz gegründet (1700), Göttingen (1759), Mainz (1949) und Düsseldorf erst 1970. Die Wahl in diese Akademie gilt als die höchste akademische Ehre, die Italien zu vergeben hat. Nur wenige Gelehrte des deutschsprachigen Kulturraums ist sie bisher zuteil geworden, darunter dem Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) und dem deutschen Kulturhistoriker und Geschichtsschreiber der Stadt Rom, Ferdinand Gregorovius (1821-1891).
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2001 wurde Kurt Flasch mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet.
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